Der Rundgang beginnt im sogenannten Rittersaal, der durch sein elegantes, auf zwei Pfeilern ruhendes spätgotisches Gewölbe geprägt ist: der richtige Ort, um einen Sprung in die Zeit um 1180 zu wagen, als das Herzogtum Bayern noch nicht von Städten, sondern von zentralen Orten wie Burgen und Klöstern geprägt war!
In der Ausstellung begegnen uns prominente Herrschergestalten vor allem in einer Hinsicht: als frühe „Städtegründer“ oder Siedlungspolitiker. Als solche traten Friedrich Barbarossa in Schwaben, Heinrich der Löwe vor allem in Sachsen (Lübeck), zu Beginn seiner Herrschaft aber auch im Herzogtum Bayern (Landsberg, Kaufering oder München) hervor. Mit der Herzogswürde bekam der „lachende Dritte“ Otto von Wittelsbach die unangefochtene Autorität, königliche Rechte wie etwa die Verleihung von Markt- und Stadtrechten auszuüben.
Zwischen 1200 und 1300 entstand in Bayern eine Vielzahl neuer Städte. Schwierig ist die Antwort auf die Frage, wie man sich den Ablauf einer Stadtgründung vorzustellen hat. Die Fülle von Planung und Disposition, die Beischaffung von Spezialisten, die tatsächliche Umsetzung – von all dem wissen wir wenig. Mittelalterliche Geschichtsschreiber erzählten gerne Heldengeschichten, nicht aber von der Mühsal des Lebens, der Ingeniosität von Planern und Machern. Tatsächlich waren es wohl langwierige, oft von Zufällen bestimmte Entwicklungen – Stadtgründung muss als Prozess verstanden werden.
Im von einem einzigen wuchtigen Pfeiler getragenen Gewölberaum der Remise erzählt die Ausstellung von den bayerischen Herzögen. So etwa von Herzog Ludwig dem Kelheimer, der nach einer Nachricht des Geschichtsschreibers Hermann von Niederaltaich im Jahr 1204 die spätere Residenz Landshut errichten ließ. Das war gewissermaßen der Startschuss für ein Jahrhundert der Entstehung von Städten in Bayern. Ebenso wird Ludwigs Gemahlin Ludmila von Böhmen vorgestellt. Als Gründerin der Klosters Seligenthal bei Landshut steht sie nicht nur für die Entwicklung eines zentralen Wittelsbacher Gedächtnisorts, sondern auch für die Verbindung von Herrschaft und kirchlichen Institutionen. Die meisten Städte der Wittelsbacher entstanden auf kirchlichem Grund.
Wesentlich war die herrscherliche Rolle für die Gewährung von Stadtrechten in Form von Privilegienbriefen, durch welche die Stadtbewohner von fremden Gerichten befreit wurden und durch welche sie auch in den Genuss weiterer Vorrechte kamen. Dieser „Standortfaktor Recht“ diente als Anreiz für die neu entstehenden städtischen Siedlungen, in denen die Menschen aus dem Umland ihre Chancen suchten: „Stadtluft macht frei“!
Hier öffnet die Ausstellung mehrere archäologische Fenster in die Vergangenheit: Ein bestimmendes Merkmal der Gründungsstädte war die Parzellierung des Bodens, der an die Siedler gegeben wurde: eine Stadt nach Maß! Bautechnik und die Anmutung einer „mittelalterlichen Baustelle“ vermitteln etwas von der Aufbruchstimmung, die mit der Entstehung neuer Orte einhergegangen sein mag. Dabei bleibt die Überlieferung oft genug fragmentarisch. Aber das ist vielleicht gerade das Spannende daran: Am Beginn des Städtelandes Bayern steht ein historisches Puzzle, das sich mit neuen Forschungsergebnissen immer neu zusammensetzt.
Nach einem Ausflug in die städtebaulichen Gründerzeit erwartet die Besucher die spektakuläre Welt der spätmittelalterlichen Stadt. Beim Betreten des Festsaals werden sie mit der Großzügigkeit und Weite des Raums konfrontiert. Der offene historische Dachstuhl lenkt den Blick nach oben, in die Vertikale. Darum ist dieser Raum ideal geeignet für eine Abteilung, die sich mit dem Spätmittelalter befasst – der Zeit, in der die Städte in die Höhe wuchsen. Außerdem erinnert die Holzkonstruktion des Dachstuhls an den Einsatz von Holzbalken bei der Konstruktion von Gebäuden – also an die für das spätere Mittelalter weit verbreiteten Fachwerkbauten.
Leitmotiv dieser Abteilung ist die Entstehung des öffentlichen Raums. Die Gestaltung der „Gruppe Gut“ greift das Thema „Straßen und Plätze“ auf und verteilt die vielfältigen Themen auf Quartiere und Viertel, die durch einen „Hauptplatz“ und mehrere „Seitenwege“ erschlossen werden. Hier werden sowohl die verschiedenen baulichen Bereiche der „typisch wittelsbachischen Stadt“ präsentiert als auch ihre wichtigsten Akteure.
Da wäre etwa die Stadtmauer als konkretes (und kostspieliges!) Bauwerk, aber auch in ihrer Funktion als Symbol städtischen Selbstbewusstseins. Oder der Brunnen, als Raum städtischer Öffentlichkeit und Kommunikation. Das Spital als Ort der medizinischen Versorgung von Alten und Kranken, aber auch als rational arbeitendes Wirtschaftsunternehmen. Prächtig ausgestattete Pfarrkirchen und Bettelordenskirchen, in denen sich die repräsentative Öffentlichkeit manifestierte. Dort war der Platz, wo die Stadtbürger und ihre Familien Rang und Vermögen zeigen konnten. Die Stadt bot Raum für vielfältiges Geschehen vom täglichen Markt über den herausragenden Jahrmarkt bis zu den großen Prozessionen des Kirchenjahrs am Palmsonntag oder zu Fronleichnam. Eine Besonderheit der Residenzstädte waren die Turniere.
Die Besonderheiten städtischen Bauens werden mit ungewöhnlichen Originalen – vom mittelalterlichen Straßenpflaster bis hin zu Überresten einer Bohlenstube – dargestellt.
Vom Festsaal aus passieren die Ausstellungsbesucher ein Fenster, das den „Friedberger Blick“ in Richtung des großen Nachbarn Augsburg und in die Lechebene ermöglicht. Anschließend gelangen sie in die Fürstengalerie des Wittelsbacher Schlosses, die sich während der Ausstellung in das Antiquarium der Münchner Residenz verwandelt.
Herzog Wilhem V. ließ am zentralen Ort der höfischen Repräsentation, im Antiquarium der Münchner Residenz, insgesamt 102 Veduten seiner Städte, Märkte und Schlösser abmalen – für viele Orte in Bayern die frühesten Abbildungen überhaupt. Städte und Märkte galten nun als Zierde des Landes.
Die Ausstellung greift in der langrechteckigen Fürstengalerie das Motiv des Antiquariums auf. Nach der Teilzerstörung im Zweiten Weltkrieg wurden einige Stadtveduten für den Wiederaufbau originalgetreu auf Metalltafeln kopiert. Doch sie fanden aus unbekannten Gründen keine Verwendung und lagerten weitgehend unbeachtet in den Depots der Bayerischen Schlösserverwaltung. Erstmals kann eine Auswahl davon in der Bayerischen Landesausstellung 2020 der Öffentlichkeit präsentiert werden – und ermöglicht so eine unmittelbare Begegnung mit den großformatigen Veduten.
Im anschließenden Herzogin-Christina-Zimmer mit seinem eleganten Biedermeier-Stuck wechselt erneut die Perspektive: Hier geht es um den Stolz der Bürger auf ihre Stadt. Deren Abbild wird zum Thema bürgerlicher Selbstdarstellung und findet sich nicht nur in viel gekauften grafischen Sammelwerken, sondern auch in unterschiedlichsten Gebrauchszusammenhängen: auf liturgischen Textilien, Handwerksbriefen, Uhrengemälden, Porzellangefäßen oder Votivreliefs.
Am Schluss des Ausstellungsrundgangs steht der epochale Wandel infolge der Französischen Revolution und der napoleonischen Kriege. Der staatliche Neubau des Königreichs Bayern im Jahr 1806 erfolgte im Geist rationaler Staatsverwaltung durch Staatsminister Maximilian Graf Montgelas. Die seit Jahrhunderten überlieferten, von Stadt zu Stadt unterschiedlichen Sonderrechte, einst Quelle bürgerlichen Stolzes, wurden Geschichte. Aufschlussreich ist, dass diese gezielte Zerstörung stadtbürgerlicher Selbstverwaltung nicht lange Bestand hatte. Die traditionsfeindliche Linie änderte sich erneut mit dem Gemeindeedikt von 1818, das den Städten unter anderem wieder die freie Wahl der Bürgermeister erlaubte: Das Sonderbewusstsein der bayerischen Städte hatte gesiegt. Und so ist der letzte Raum des Ausstellungsrundgangs im Herzog-Ludwig-Zimmer dem Fazit gewidmet.
Ausgehend von den heute mehr als 300 bayerischen Städten wird ein kartographisch-medialer Rückblick in die Vergangenheit gestartet, der nochmals die verschiedenen Stufen der bayerischen Städteentwicklung im Schnelldurchlauf nachzeichnet. Dies erfolgt unter scharfer Beobachtung einer Marktbrunnenfigur aus der niederbayerischen Donaustadt Deggendorf, einem bayerischen Löwen samt Rautenwappen. Diese städtische Brunnenfigur mag bei manchen Besuchern das Idealbild einer „guten alten Zeit“ heraufrufen, wie man es oft mit dem gemächlichen Leben in kleineren und mittelgroßen Städten verbindet. Ob es wirklich so war? Das ist wohl eine Frage der Perspektive.