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Dekoration für eine Bierbude auf dem VII. Deut-

schen Bundesschießen, ein gesamtdeutsches Großer-

eignis, das 1881 auf der Theresienwiese in München

stattfand. Als Inbegriff bayerischer Wirtshaus- und

Festkultur ziert die schöne Coletta bis heute Bierkrü-

ge, Aschenbecher, Pfeifenköpfe und eine Vielzahl an-

derer Werbemittel – und natürlich Schützenscheiben.

Ihr Nachruhm strahlte sogar bis Franken aus: Eine

steinerne „Bierliesel“ ziert den Giebel eines Bürger-

hauses in der Bayreuther Altstadt.

Hans Steyrer (1849–1906) verband gewaltige Kör-

perkraft mit gastronomischem Talent und verstand es,

sich öffentlichkeitswirksam in Szene zu setzen. Der

Metzger und Wirt aus einem Münchner Vorort wur-

de in den 1870er-Jahren mit seinen kraftakrobatischen

Vorführungen europaweit berühmt. 1879 stellte er

denWeltrekord im „Steinheben“ auf: Der Stein, den er

mit dem Mittelfinger lupfte, wog der Überlieferung

nach 264 Kilogramm. Hans Steyrer war nacheinander

Inhaber mehrerer Gasthäuser in München und zeit-

weise auch im Ausland. Über Jahre betrieb er Buden

auf dem Oktoberfest. Er gilt als Begründer des Ein-

zugs der Wiesnwirte, der später zum festen Bestand-

teil des Oktoberfestauftakts wurde. Der Steyrer Hans

ist eine Münchner Legende – so erinnert heute zum

Beispiel im Stadtteil Obergiesing, wo er ab 1890 ein

Wirtshaus führte, ein Graffiti in einer Fußgänger­

unterführung an ihn.

Das Rauchbier der fränkischen Brauereigaststätte

„Schlenkerla“ in der Bamberger Altstadt ist weithin

bekannt.Weniger geläufig ist die Herkunft des eigen-

tümlichen Namens. Dieser geht auf den Bräu Andreas

Graser (1843–1905) zurück, der den Betrieb ab 1875

führte. Bei einem Unfall mit einem Bierfuhrwerk soll

er am Fuß verletzt worden sein und seither gehumpelt

haben.Weil er beim Gehen mit den Armen „a wengla

gschlenkert“ hat, verpasste man ihm den Spitznamen

„Schlenkerla“. Sein Sohn Michael Graser hatte später

die zündende Idee, den Spottnamen des Vaters zum

Markenzeichen der Brauereigaststätte zu machen.Gra-

ser ließ die Gasträume im Jahr 1926 erweitern und im

historisierenden Stil neu ausstatten. Schon vorher war

die überputzte Fachwerkfassade freigelegt worden.Wohl

seit dieser Zeit ziert ein o-beiniger „Schlenkerla“ im

grünen Kranz den Ausleger derWirtschaft.

Der Niederbayer Joseph Groll (1813–1887) aus

Vilshofen gilt als Vater der heute weltweit beliebtes-

ten Biersorte: des „Pils“. In den 1830er-Jahren wurde

die damals als „bayerisch“ bezeichnete Brauweise mit

untergäriger Hefe weithin populär. Die Bürger der

böhmischen Stadt Pilsen (Plzenˇ) investierten in ein

neues Brauhaus, in dem auf bayerische Art gebraut

werden sollte. Groll wurde als Braumeister angestellt

und sott im Herbst 1842 erstmals das neuartige helle,

hopfenbittere Lagerbier, dem bayerische Hefe und das

weiche Pilsner Wasser einen besonderen Charakter

verliehen.Vom Ruhm der von ihm begründeten Bier-

sorte profitierte Groll jedoch wenig, denn sein Vertrag

in Pilsen lief schon 1845 aus. InVilshofen erinnern seit

1992 eine Gedenktafel und seit Kurzem eine Büste an

den „Vater des Pils“.

Die in gewisser Hinsicht ebenfalls identitätsstif-

tende kunsthandwerkliche Überlieferung zum baye-

rischen Bier besteht naturgemäß vor allem aus Trink-

gefäßen. Sie umfassen die Zeit vom Frühmittelalter

bis heute, bestehen aus Materialien wie Glas, Zinn,

Silber, Holz oder Keramik, wie Steinzeug, Irdenwa-

re und Porzellan, und weisen Dekore aus Edelmetall

und sogar Elfenbein auf. Kostbare Krüge der frühen

Neuzeit zeigen ein künstlerisches Bildprogramm. Bei

ihnen handelt es sich um Repräsentationsgefäße, die

eher zur Schau gestellt als zum Trinken benutzt wur-

den. Und auch wenn Letzteres der Fall war, ist nicht

sicher, ob sie jemals mit Bier gefüllt waren, zumal in

höheren GesellschaftsschichtenWein getrunken wurde.

Gleichwohl ist die Gefäßform des relativ voluminösen,

gedeckelten, gehenkelten Humpens oderWalzenkrugs,

der im 17. Jahrhundert nördlich der Alpen beliebt war,

im Allgemeinen mit dem Biergenuss verbunden.

Einige Bierkrüge, -becher und -kannen aus dem

heutigen Bayern haben legendäre Symbolkraft oder zu-

mindest das Potenzial dafür. Ein in Straubing ausgegra-

bener bajuwarischer Henkelkrug des 6. Jahrhunderts

wird – wenngleich mit einem Augenzwinkern – als

„Urmaßkrug“ bezeichnet. Ernsthafter verhält es sich

mit der Pitsche der Münchner Schäffler, einem Re-

präsentationsgefäß der örtlichen Zunft, deren Mitglie-

der Gefäße aus Holzdauben herstellten, insbesondere

Bierfässer. Der Überlieferung nach schon seit 1517,

schriftlich erstmals belegt 1702, pflegen die Münchner

Schäffler den Schäfflertanz, der gemäß der Legende

ursprünglich abgehalten wurde, um die Bevölke-

rung während einer Pestepidemie aufzuheitern. Seit

dem 19. Jahrhundert verbreitete sich die Tradition des

Schäfflertanzes auch in anderen Orten Altbayerns.

Zu nennen sind weiter die gläsernen Ochsen­

kopfhumpen, die in Bild und Inschrift ein Loblied auf

die Naturschätze und das wirtschaftliche Gedeihen des

oberfränkischen Fichtelgebirges singen. Im Süden ver-

erbte der Keferloher, ursprünglich ein beimViehmarkt

im oberbayerischenWeiler Keferloh verwendeter ein-

facher, teilglasierter Irdenkrug, seinen Namen im spä-

ten 19. Jahrhundert an den bis heute weit verbreiteten

deckellosen grauen Steinzeugmaßkrug.

Eine Begebenheit aus dem Niederbayern des frü-

hen 20. Jahrhunderts verkörpert der „Totenkopfkrug“

des Arztes und Politikers Dr. Albert Gäch (1852 bis

1926) aus Schwarzach im Landkreis Straubing-Bogen.

07 Bierberühmtheiten und Bierschätze

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