"Sie wollen mich nicht verstehen, Herr Abt", entgegnete von Ockel. "Was Sie behaupten, mag immerhin sein. Aber dennoch gibt es nichts von all dem, was der Staat nicht umfassender und besser könnte, und zwar zum Besten aller Untertanen.
Deshalb sind die Klöster überflüssig geworden, ebenso, wie es nicht mehr zeitgemäß ist, in ihnen zu leben." "Ha, nicht mehr zeitgemäß", rief der Abt. "Seit wann hat es etwas mit mode zu tun, Gott zu dienen?" "Gott kann man nicht nur im Kloster dienen", warf Ockel ein.
"Aber nirgends so ausschließlich wie dort!"
Klocker atmete tief ein. Das war schlimmer, als er es sich vorgestellt hatte. Wie gerne hätte er jetzt einen Becher Südtiroler Wein hinuntergestürzt, um seine Nerven zu beruhigen. Aber dieser verstaubte Staatsdiener da würde das sicher zum Anlaß nehmen, um ihn über den unmäßigen Weinverbrauch im Kloster zu belehren. Am liebsten hätte er das Gespräch beendet! Er nahm sich aber zusammen, wischte sich den Schweiß von der Stirn und fuhr ruhiger fort: "Die Klöster haben sich in keiner Weise überlebt. Nirgends wird so eifrig geforscht und gelehrt wie dort.Die Aufklärung hat längst ihren Einzug in die Konvente gehalten. Für den Staat sind sie von großem Nutzen, weil sie das gesamte Schulwesen für ihn verwalten.
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Und wo sonst noch ist es möglich, dass auch einfacher Leute Kind zu Amt und Würde gelangen? Ich Selbst bin ein Beispiel dafür. Wenn das keine unumstößlichen Beweise dafür sind, dass die Klöster sich dem Fortschritte geöffnet haben ... "
"Nein, Herr Abt", unterbrach ihn Ockel, "Ihre Argumentation beweist gerade das Gegenteil. Ein aufgeklärtes Kloster ist eben keines mehr: Unzufriedenheit mit dem mönchischen Alltag, mit Einsamkeit und strengen Regeln muß sich breit machen und macht sich breit. Und hat nicht sogar Ihr Kollege, Abt Aschenbrenner von Oberaltaich, deutlich erklärt, dass sich die Arbeit in Forschung und Lehre nicht mit den Regeln des Chorgebets vereinbaren lässt?
Doch davon einmal abgesehen: Sie können ja wohl nicht abstreiten, da? in vielen Klöstern der Geist der Rückständigkeit herrscht! Da wird jede Veränderung abgelehnt, und es regiert ein Denken, das man nur mittelalterlich nennen kann. Vergeblich hat jener Aschenbrenner schon vor Jahren gefordert: ´Reformiert euch und man wird euch gelinder begegnen. Sonst wünschen eure eigenen Zöglinge euren Einsturz, eure Aufhebung´!"Klocker war wütend. Natürlich, ausgerechnet seinen Erzfeind, Beda Aschenbrenner, musste ihm dieser Mensch vorhalten! Und schlimmer noch:
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Aschenbrenner hatte nicht einmal unrecht gehabt. Viele Klöster waren reformbedürftig. Aber sie waren doch auch immer noch reformfähig! Er erwiderte: "Sie sind ein Meister in der Kunst, überall nur das Negative zu sehen. Auch Sie müssen doch das Ringen vieler Konvente um innere Erneuerung anerkennen! Ich bin nicht sicher, ob die Regierung Seiner kurfürstlichen Durchlaucht so reformfreudig ist wie manches Kloster!" "Das zu beurteilen, Herr Abt", entgegnete Ockel scharf, "dürfte sich wohl entschieden Ihrer Zuständigkeit entziehen! Was wir an Erneuerung tatsächlich sehen, das sind doch immer nur neue, noch verschwenderischere Prachtbauten, errichtet durch die Fronarbeit der armen Bauern und finanziert durch - Schulden!"
"Hören Sie auf, hören Sie auf", rief der Abt und sprang erregt von seinem Sessel auf, "ich kann es nicht mehr hören! Dieser Vorwurf wird durch seine ständige Wiederholung nicht wahrer! Nennen Sie mir nur ein bayerisches Kloster, dessen Neubauten durch bäuerliche Fron entstanden sind. Sie werden keines finden! Natürlich haben wir unsere Baumaßnahmen, die einzig zur höheren Ehre Gottes geschahen, mit Krediten finanziert. Aber daran ist ja wohl nichts Unrühmliches. Und wir haben unsere Schulden zurückgezahlt! Ich glaube kaum, dass in der Kasse auch nur eines Klosters ein
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solches Loch gähnt wie in der kurfürstlichen!" Da hatte Klocker wohl recht. Ockel meinte deshalb etwas steif und ohne rechte Überzeugung: "Diese Schulden sind durch eine Vielzahl wichtiger Aufgaben des Staates verursacht..." "Ja, durch die Finanzierung der Hofhaltung und die Besoldung von Soldaten", warf Klocker bissig ein. Ockel ging darauf jedoch nicht ein, sondern fuhr energisch fort: "... und weil dem Staat durch den großen Besitz der Klöster soviel vorenthalten wird. Und wie wird dieser Besitz missbraucht! Sie können doch wohl kaum bestreiten, dass zahlreiche Konvente durch lasterhafte Lebenswandel, durch Völlerei, Schuldenmacherei und sonstige üble Gewohnheiten nicht nur im Volke ihren guten Ruf, sondern auch tatsächlich das Recht verwirkt haben, weiter zu bestehen. Denken Sie an die Abtei St. Veit, an jene verworfene Mönchsgesellschaft, die ihr Kloster freiwillig aufgab, um nicht für ihre Untaten und Zügellosigkeiten eingesperrt zu werden. Und denken Sie an jenen unsäglichen Benedikt Weinberger und seine zahllosen Gaunerstückchen , unter denen die Affären mit ich weiß nicht wie vielen Dorfweibern noch die harmlosesten waren! Er war schließlich Mönch in ihre eigenen Kloster!" Nun reichte es Abt Klocker. Er sprang erneut auf, lief zum Stuhl des Kommissärs und hielt ihm den drohend gestreckten Zeigefinger unter die Nase.
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" Ich sage es Ihnen nochmals", schrie er, "Sie sehen nur das Negative Sie übertreiben und verdrehen! Sicherlich war das ein schändliches Treiben in St. Veit. Aber warum führen Sie nicht all jene Klöster an, in denen tadellose Zustände herrschen? Warum nicht Benediktbeuern, Andechs, Herrenchiemsee, Oberaltaich, Tegernsee und wie sie sonst noch heißen? Wie können Sie es wagen, den unglücklichen Weinberger zu nennen, den einzigen Fall, den einzigen, sage ich, wo jemand den Anforderungen des Klosterlebens nicht gewachsen war? Warum nennen sie nicht die Tausenden von Brüdern, die ihr ganzes Leben lang Gott treu und fromm gedient haben? Ich will Ihnen sagen, warum Sie so und nicht anders reden: Sie wollen Unrecht zu Recht machen, Sie wollen Ihren lästerlichen Maßnahmen gegen Gottes Klöster das Mäntelchen der moralischen Rechtfertigung umhängen. Das und nichts anderes ist Ihre wahre Absicht!" Schwer atmend ging Klocker auf seinen Platz zurück. Doch auch um Ockels kühle Gelassenheit war es nun geschehen. mit diesem zornigen Abt war wirklich nicht zu reden!
"Ich sehe, Sie wollen sich nicht überzeugen lassen, Hochwürdiger Herr", rief er erbost. "Schon immer hat es einsichtige Geistliche gegeben, die eine Kirche ohne Macht und Reichtum forderten.
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Sie gehören leider nicht zu diesen Einsichtigen. Sie gehören zu den Kirchenmännern, denen Macht mehr bedeutet als Gott!" Klocker war sprachlos. War dieser Kommissär so bösartig, oder hatte er ihn so mißverstanden? Er, Klocker, hatte jedenfalls keine Kraft mehr zu disputieren. Er, Klocker, streckte die Waffen. Er erhob sich mühsam, wie unter einer schweren Last, aus seinem Sessel und sagte leise: "Tun Sie, was Sie für Ihre Pflicht halten. Und möge Gott Seiner Durchlaucht und Ihnen verzeihen!" Ockel entgegnete kühl: "Möge er auch Ihnen verzeihen, Herr Abt. Sie bitten, mir die Bücher vorzulegen; im Namen Seiner Durchlaucht, des Allergnädigsten Herrn Kurfürsten, beginne ich nunmehr, die Auflösung der Abtei Benediktbeuern zu vollziehen."
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