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Birgit Ulrike Münch
Das aus der Mühle kommende „Mehl“ wird
gebildet aus Schriftrollen, die unter anderem
mit „Hoffnu[n]g“, „Glaub[e]“ und „Lieb[e]“
beschriftet sind. Erasmus ist im Begriff, die-
ses „Schriftmehl“ mit einer großen Kelle in
einen Sack zu schaufeln, auf welchem ein
Erdenrund und ein Kreuz für die „rechte
Kirche“ zu sehen sind. Der hinter Erasmus
stehende Luther hat sich von einem kanzelar-
tigen hölzernen Auf bau wegbewegt, um das
„Brot“ in Form der wahren Bibel an altgläu-
bige Geistliche zu verteilen. Die auf der rech-
ten Bildseite zusammenstehenden Mönche
sowie ein Kardinal, ein Bischof und der Papst
selbst lehnen allesamt das neu geschaffene
und nur aus „wahren Zutaten“ entstandene
Werk ab, der Papst lässt es gar auf den Boden
fallen, ohne es zu lesen. Hinter der Personen-
gruppe, in direkter Nähe zu Christus und
in der Mitte des Bildes, richtet Karsthans,
der mit seinem Dreschflegel weit ausgeholt
hat, seinen Blick unmutig auf die Gruppe der
Altgläubigen. Er scheint mit seiner Gestik
und seinem Arbeitsgerät Luther, Erasmus und
Christus zu verteidigen und „abzuschirmen“,
wie es in Titel und Text heißt. Über den
Altgläubigen fliegt ein kreischender Vogel,
aus dessen Schnabel die Wörter „Ban ban“
kommen. Mit seinem lindwurmähnlichen
Schwanz und den Drachenflügeln versinn-
bildlicht er den Teufel, der zur Bannung
Luthers aufruft oder an die päpstliche An-
klage erinnert. Karsthans scheint es mit sei-
ner Waffe auch auf die Vernichtung dieses
Teufelswesens abgesehen zu haben. Eramus
und Luther verrichten ihre Arbeit ruhig und
gelassen, während Karsthans in der Bildmitte
als Dreh- und Angelpunkt des Geschehens
die Sicherheit des Unternehmens garantiert.
Unter den Visualisierungen zum „Karsthans“
bildet dieses Blatt zweifelsohne einen Höhe-
punkt, da es den „gerechten Bauern“ nicht
nur als Anhänger der Reformation, sondern
auch als ihren aktiven Verteidiger schildert,
der wie der Erzengel Michael im apokalyp-
tischen Kampf mit weit ausholender Waffe
die Gegner zu verjagen sucht. In ähnlicher
Weise wie der Karsthans seinen Dreschfle-
gel trägt, hatten bereits die Bannerträger des
Bundschuhs ihre Fahnen geschwungen, wie
es diverse Holzschnitte der Bauernkriegsbe-
wegung – auch das Titelbild von Gengen-
bachs „Bundtschu“ – ab den 1510er-Jahren
zeigten
(
Abb. 4
).
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erschien 1521 in Zürich, Tübingen, Straßburg und anderen Städten
im Druck.
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Im ausführlichen Titel der fünfseitigen Flugschrift wird
bereits der Inhalt angedeutet: Martin Luther bäckt aus dem von
Erasmus von Rotterdam gemahlenen göttlichen Mehl das göttliche
Brot und wird dabei „von dem strengen Karthansen“, also Karsthans,
beschirmt. Der Text wird als Dialog von „zwen schweytzer bauren“
wiedergegeben, die nacheinander berichten. Während der Tübinger
Druck lediglich eine menschenleere Mühle mit großem Mühlstein in
einer bergigen Landschaft als kleines Titelblatt aufweist, findet sich in
allen anderen Drucken ein aufwendig gestaltetes Titelblatt
(
Abb. 3
),
das die so genannte christliche Mühle oder Hostienmühle, ein seit
dem Mittelalter beliebtes Bildmotiv, zeigt. Das einzelne Korn steht
für das einzelne Wort Gottes, durch die Hostienmühle wird es zur
Hostie und somit zum wahren Leib Christi.
Im vorliegenden Bild handelt es sich um eine Mühle, die die Worte der
Evangelisten und des Paulus mahlt, was durch die von Christus aus ei-
nem Sack in den Trichter geworfenen Evangelistensymbole des Löwen
(Markus), Menschen (Matthäus), Stiers (Lukas) und der Taube ( Johan-
nes) sowie eine kleine Figur des Paulus mit einem Schwert angedeutet
wird. Oberhalb der am linken Bildrand dargestellten Mühle ist in
einer Wolkenformation Gottvater in gleicher Gestalt wie der kreuz-
nimbierte Christus zu sehen, als so genannter präexistenter Christus.
3
Martin Seeger, Hans Füssli, „Das hond zwen schweytzer bauren gemacht.
Fürwar sy hond es wol betracht“, Zürich 1521