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24. Juni 2004
Ausstellungseröffnung durch Herrn Staatsminister Dr. Thomas Goppel
Rede des Bayerischen Staatsministers für Wissenschaft, Forschung und Kunst, Dr. Thomas Goppel, anlässlich der Eröffnung der Ausstellung "Good Bye Bayern - Grüß Gott America" des Hauses der Bayerischen Geschichte am 24. Juni 2004 in Nördlingen

Es gilt das gesprochene Wort.
- Anrede -

"Jetzt ist die Zeit und Stunde da,
wir reisen nach Amerika.
Der Wagen steht schon vor der Tür.
Mit Weib und Kind, da ziehen wir."

So lautet die erste Strophe des wohl bekanntesten Auswandererliedes, das der Chor zu Beginn gesungen hat. Dieses aus Schwaben stammende Volkslied steht für eine Bewegung, die seit über 300 Jahren auch Menschen aus dem heutigen Bayern in die Ferne schweifen ließ, denn das sprichwörtlich Gute vermutete man eher dort als in der alten Heimat. Und oftmals traf diese Vermutung auch zu.

Die Aufbruchsstimmung der Auswande-rungslieder hatte stets mit einem sehr ernsten Entschluss zu tun: die eigene Heimat, Haus und Hof zu verlassen und das mühsam erworbene Bisherige zu vergessen. Nur Wenige sind ohne Not ausgewandert. Der bittere Hintergrund von Armut und Not, sozialen und politischen Konflikten, von nicht mehr erträglichen Lebensbedingungen, teilweise von Ausgrenzung und Verfolgung, von menschlichem und beruflichem Scheitern: Diese Vorbedingungen dürfen nicht vergessen werden, wenn man an die Tatsache erinnert, dass Menschen erfolg-reich eine zweite Heimat gefunden haben.

Die Auswanderung nach Amerika ist aber nicht nur ein geschichtliches, sondern ein ganz aktuelles Thema. Jedes Jahr wan-dern auch heute noch etwa 3000 Men-schen aus Bayern in die Vereinigten Staaten aus. Aber heute sind es nicht mehr die Ärmsten der Armen und die an den Rand Gedrängten. Heute sind es vorzugsweise bestens ausgebildete junge Frauen und Männer. Nicht für alle bedeutet Auswanderung dabei die endgül-tige Abkehr von der alten Heimat. Viele gehen auf Zeit in die Vereinigten Staaten, weil sie dort arbeiten oder studieren wollen, und kehren später wieder zurück. Aber es bleiben doch viel mehr dort als wir es uns wünschen können.

Im Oktober 1683 war es ein Franke, der die erste dauerhafte deutsche Siedlung in Amerika anlegte: Franz Daniel Pastorius aus Sommerhausen gründete mit menno-nitischen Siedlern aus Krefeld den Ort Germantown, heute ein Stadtteil von Philadelphia. Bis heute wird in den Verei-nigten Staaten zum Andenken daran am 6. Oktober der sog. German Day gefeiert. Außerdem steht in Germantown immer noch ein Denkmal zur Erinnerung an Pastorius. Es thematisiert u. a. den ersten Protest gegen die Sklaverei, den Pastorius mitunterzeichnete und ganz wesentlich organisierte, daneben die Werke der deutschen Einwanderer in Kunst und Wissenschaft und die Beteiligung der Deutschen am amerikanischen Bürger-krieg. Die Zentralfigur bildet eine sitzende Frauengestalt, die die Zivilisation verkör-pert.

Allerdings steht dieses Denkmal auch für eine ganz entscheidende Zäsur im Ver-hältnis von Amerika und Deutschland bzw. Bayern: für den Ersten Weltkrieg. Es sollte nämlich 1917 enthüllt werden und musste stattdessen mit einem hölzernen Verschlag umbaut und so geschützt werden vor der deutschfeindlichen Haltung in Amerika in dieser Zeit. Erst 1920 konnte die Enthüllung schließlich stattfinden. Der Erste Weltkrieg war auch Ursache, warum vieles, was bisher von den Einwanderern und deren Nachfahren eher selbstverständlich als deutsche Traditionen in einer amerikanischen Umwelt gepflegt worden war, nun verbo-ten und verpönt war. Viele bisher deut-sche Ortsnamen wurden amerikanisiert, mancher Einwanderer wurde vom Schmidt zum Smith und die deutsche Sprache in den Schulen wurde verboten. In dieser Zeit kam - das versteht sich fast von selbst - auch die Auswanderung aus Bayern nach Amerika beinahe gänzlich zum Erliegen. Im Gegenteil, mancher Neueinwanderer wurde wieder zurück geschickt, wie wir dies etwa von zwei bayerischen Kindermädchen wissen.

Eine Zäsur ganz anderer Art markiert der Zweite Weltkrieg. Die Vereinigten Staa-ten wurden zum Ziel vieler Emigranten und Flüchtlinge vor der Diktatur des Nationalsozialismus. Hier fanden in den Jahren zwischen 1933 und 1941 etwas über 130 000 Menschen aus dem gesam-ten deutschen Sprachraum Aufnahme, mehr als 90 % von ihnen waren jüdischer Herkunft. Auch Schriftsteller wie Oskar Maria Graf oder Lion Feuchtwanger waren unter den Emigranten. Nach dem Krieg wanderten die meisten Überleben-den der nationalsozialistischen Verfolgung in die USA aus. Bayern hat mit dieser Auswanderungsbewegung in verschiede-ner Weise zu tun, als Herkunftsland wie als Durchwanderungsland.

Dies ist die eine Seite der Beziehung zwischen Bayern und Deutschen zu Amerika, die mit den Schrecken der Terrorherrschaft, mit Rassenwahn und den Kriegsereignissen zu tun hatte. Die andere Seite sind die Kontakte zu den amerikanischen Soldaten, die seit Frühjahr 1945 in Bayern einmarschierten. Mancher von ihnen war Nachfahre bayeri-scher Auswanderer, oder wie Henry Landman aus Augsburg, der als einer der ersten Amerikaner nach Augsburg kam, Emigrant vor der NS-Diktatur. Die ameri-kanischen Soldaten, die in Bayern statio-niert waren, stellten eine wichtige Brücke neuer Beziehungen zwischen den Ländern her. Eine eigene Gruppe von Auswanderern stellten die bayerischen Frauen dar, die ihren amerikanischen Männern in die neue Welt folgten.

Wenn man heute in Amerika von Deutsch-land spricht, dann wird man unweigerlich sofort mit bayerischen Klischees kon-frontiert: Brezen, Bier und Oktoberfest, Dirndl und Lederhosen. Neuschwanstein reicht oftmals für die Kultur. Dieses Bild entstand maßgeblich erst nach dem Zweiten Weltkrieg und durch die rund 40 Millionen US-Amerikaner, die Bayern besuchten. Die bis heute bestehenden Trachten- und Schuhplattlervereine in Amerika gehen meist auf Gründungen der Nachkriegszeit zurück. Obwohl heute die meisten Mitglieder dieser Vereine kein Deutsch mehr können, ist ein steigendes Interesse zu verzeichnen. Eine amerikani-sche Gemeinde im Staate Washington hat Bayern und das Bayerische sogar ent-deckt, um sich selbst zum Tourismus-magneten zu machen: Blaskapellen, Holzhäuser und Mädchen in Dirndln sorgen für beste Geschäfte am Fuße der Rocky Mountains. Nur noch zwei Wochen sind dort es bis zum Beginn des großen Bratwurstfests…!

Die eigentliche bayerische Einwanderung war jedoch weitaus weniger pittoresk. Die Übersiedlung nach Amerika war immer auch ein soziales Ventil. Auf die 1848 vom bayerischen König Maximilian II. gestellte Preisfrage "Wie ist der mate-riellen Noth der unteren Klassen abzu-helfen", empfahlen mehrere der 656 Einsender die Auswanderung als ein adäquates Mittel. So zum Beispiel C. Bühlmayer, Rechnungsführer bei der Königlichen Eisenbahn-Section Würzburg: "Mancher glaubt, weil er im Vaterlande kein Glück hat, solches in der Neuen Welt leichter finden zu können. Man erleichtere daher solchen Leuten die Auswanderung in jeglicher Weise. Und wenn denselben hie und da die pekuniären Kräfte fehlen, so lasse man denselben das benöthigte Reisegeld aus Staats- und Gemeinde-Mitteln hinreichend zufließen."

Auch der evangelische Pfarrer Wilhelm Löhe aus Neuendettelsau ergriff - ohne je selbst in Amerika gewesen zu sein - die Initiative und organisierte ab 1845 die planmäßige gemeinsame Auswanderung von mittellosen jungen Menschen aus seinem Pfarrsprengel nach Michigan. Zuerst entstand das heute noch beste-hende Frankenmuth und dann die drei weiteren "Frankenorte", Frankenlust, Frankenhilf und Frankentrost. Frau Zehnder-Keller hat davon gesprochen und der von ihr ermöglichte Nachguss der Glocke der ersten Auswanderer ist ein Glanzstück der Ausstellung.

Dass sich mit "Amerika" lange Zeit auch die Vorstellung verband, unliebsame Personen loswerden zu können, zeigt der bayerische König Ludwig II. noch 1884, als er seinem Marstallfourier Hes-selschwert befielt, der Finanzminister von Riedel solle "nächtlicherweile abgepasst und durchgeprügelt, eingesperrt ... und nach Amerika spediert werden". Auch die Verbringung des Hofsekretärs Gresser nach Amerika wurde anbefohlen. Aller-dings blieben diese Anordnungen des damals schon schwer kranken Königs unerledigt.

Von großer Bedeutung ist die Sogwir-kung der vorausgewanderten Verwand-ten, Freunde und Bekannten auf die in der alten Heimat Gebliebenen. Wer konnte schon widerstehen, wenn immer wieder solche oder ähnliche Nachrichten eintrafen, wie die von Benno Daxl, der aus dem Mittleren Westen an seine Eltern in der Gegend von Mühldorf schrieb. Gerne zitiere ich den bezeichnenden Text ausführlich: "Am Anfang geht es durchaus gar keinem Menschen gut, bis man einmal die Sprache kann und bekannt ist. Die Arbeit ist zwar streng am Anfang, weil alles anders gearbeitet wird; wenn es einer kann, ist es leicht, die Kost ist sehr gut. Es ist alle Tage wie bei Euch an Kirchweih. Denn es gibt in Amerika keine armen Leute, da hat jeder Geld nach Mengen. In ganz Deutschland geht es keinen Menschen so gut. Gott sei Dank, dass wir nicht mehr in dem Blutwürstigen Bayern sein dürfen. Wer Lust hat soll sich keine Stunde mehr aufhalten." Besonders fällt hier neben der Begeisterung auf, dass Benno Daxl sich vollkommen der Notwen-digkeit bewusst war, sich die in der neuen Umgebung nötigen Sprachkenntnisse zu erwerben. Die Bayern und Deutschen in Amerika pflegten ihre Kultur und Tradi-tionen, bildeten aber keine abgekapsel-ten Parallelgesellschaften!

Viele haben die Reise über den großen Teich gewagt: insgesamt mehr als 1 Million. Bayern aus allen möglichen Berufssparten haben sich in den USA niedergelassen: Sie waren Brauer, arbei-teten in den Schlachthöfen von Chicago oder beim Eisenbahnbau, verdienten ihr Brot als Händler und Handwerker und selbstverständlich auch als Bauern bzw. Farmer. Manche wurden berühmt oder zumindest reich, wie der pfälzische Metzgersbursche Eduard Fleckenstein oder Henry Villard, ebenfalls aus der Pfalz, der in Amerika zum Eisenbahnkönig avancierte. Manche hinterließen für uns unschätzbare Werte, wie Christian Bar-thelmeß aus Klingenberg am Main. Er fotografierte als Soldat der amerikani-schen Armee drei Jahrzehnte lang Land und Leute entlang der sich nach Westen verschiebenden Grenze und dokumentier-te so die Siedlungsgeschichte. Seine Fotografien zeigen die unwiederbringlich verlorene Kultur der damals bereits in Reservate abgedrängten Indianer, haupt-sächlich vom Stamm der Cheyenne.

Die Ausstellung "Good Bye Bayern - Grüß Gott America" berichtet von vielen Schicksalen, von Hoffnungen und Enttäuschungen und von der besonde-ren Beziehung der alten Welt zur Neuen Welt. Wie viele wir dieser Neuen Welt verdanken, wissen wir Bayern gerade aus der Nachkriegszeit nach 1945. Das Wissen um die Gemeinsamkeit und Verbundenheit mit den USA, wohin stolze 80 % der bayerischen Auswanderer der letzten 200 Jahre gingen, ist ein wichtiger und bisher noch zu wenig bekannter Teil der bayerischen Geschichte. Dass diese Ausstellung das ändern wird, bin ich gewiss.

Die Ausstellung ist eröffnet.


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