V. Stadt und Land

Das stiftische Umland und die Stiftsstadt

An der Wende zur Neuzeit war das Territorium des Klosters ein agrarisch geprägtes Gebiet.

Vor allem in der zweiten Hälfte des 17. und im 18. Jahrhundert bemühten sich einzelne Äbte jedoch darum, die Wirtschaftskraft ihres Landes zu stärken. Anders als in der Reichsstadt kam dabei der staatlichen Lenkung eine Schlüsselrolle zu.

Zentrum des Stiftslandes war die seit dem Ende des 30jährigen Krieges um das wiederaufgebaute Kloster erwachsene Stiftssiedlung. Auf Betreiben von Fürstabt Rupert von Bodman erhielt sie 1728 ein kaiserliches Stadtrechtsprivileg.

Bestimmend für das gesellschaftliche Leben der Stiftstadt waren der fürstäbtliche Hof und die Beamtenschaft.

Außer Bediensteten sämtlicher Rangstufen vom Geheimen Rat bis zum Einheizer bestand die Bevölkerung überwiegend aus Handwerkern. Wichtige Wirtschaftsbetriebe waren das Brauhaus und die Stiftsdruckerei. Beide wurden vom Stift in Eigenregie betrieben.

Die in der Stiftsstadt ansässigen Zünfte umfaßten teilweise auch Meister der umliegenden Orte. Die Vielfalt der reichsstädtischen Gewerbe wurde jedoch in der Stiftsstadt nicht erreicht.

Kundschaft
Kundschaft eines Braugesellen
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Handwerk in Märkten und Dörfern

Teilweise kleinstädtisches Gepräge trug der Markt Obergünzburg. Er war mit seinem 1407 verliehenen Marktrecht der älteste und zugleich der bedeutendste Marktflecken des Stiftslandes.

Demgegenüber standen die im Stiftsland recht zahlreichen übrigen Märkte weit zurück.

Sie blieben bescheidene Zentren des Handwerks und Kleinhandels zur Versorgung des unmittelbaren Umlandes. Abgesehen von einem höheren Anteil von Gewerbetreibenden unterschieden sie sich kaum von größeren Dörfern.

Müller, Metzger, Schneider, Schuhmacher, Schmiede, Weber und Strumpfstricker waren typische Landhandwerke, die in solchen kleinen Marktorten angetroffen werden konnten.

Eine Besonderheit bildete die Herstellung von Musikinstrumente. Insbesondere die Allgäuer Lautenmacher genossen einen überregionalen Ruf.

Vom Flachs zum Leinen

Der Anbau von Flachs und seine Weiterverarbeitung waren für die Allgäuer Landbevölkerung eine wichtige Einnahmequelle. Reichliche Niederschläge und lockere Böden boten günstige natürliche Voraussetzungen.

Der Weg vom Flachs zum Leinengarn war kompliziert und verlief in mehreren Stufen. Er beschäftigte vor allem in den Wintermonaten die gesamte bäuerliche Familie. Aus der Pflanze wurde die Faser gelöst und versponnen. Das Garn konnte man in den nahegelegenen Städten, teilweise sogar bis in die Schweiz verkaufen.

In den südlichen Pfarreien des Fürststifts übernahm die bäuerliche Bevölkerung auch die Weiterverarbeitung zum fertigen Leinentuch. Knechte, Mägde, Bäuerinnen und Kinder waren in den Arbeitsprozeß eingebunden. Immenstadt war der wichtigste Umschlagplatz, wo unter anderem die reichsstädtischen Fernhändler einkauften. Im übrigen Stiftsland saßen Handwerker am Webstuhl, die darin ihren Hauptverdienst hatten.

Die Landweber produzierten billiger als die Meister in der Reichsstadt und verdrängten diese aus dem Geschäft.

Wiesen und Felder, Seen und Wälder

Die Landwirtschaft bedeutete für den größten Teil der Bevölkerung die Existenzgrundlage. Bei der Viehhaltung stand die Aufzucht von Kälbern und Jungvieh im Vordergrund. Die nördlichen Teile des Fürststifts waren Getreideüberschußgebiete mit ausgedehntem Ackerbau.

Den Waldreichtum des Landes suchte das Stift erst seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert systematisch zu nutzen.

Fürstabt Rupert von Bodman ließ im Kürnach- und Eschachtal Glashütten anlegen. Der enorme Holzbedarf dieser Hütten schuf Freiflächen, auf denen Kleinbauern angesiedelt wurden.

Auch für den Betrieb seiner Brauhäuser benötigte das Stift viel Holz, das im Winter auf Schlitten zu den Braustätten gefahren wurde. Auf der Iller wurde bis Ulm und weiter donauabwärts geflößt.

Wegen der Fastenvorschriften betrieben die Klöster schon im Mittelalter eine intensive Fischwirtschaft.

Bedeutend wurde im Lauf der Neuzeit die planmäßig ausgebaute Nutzung stehender Gewässer.

Dazu wurden verschiedene Weiher angelegt. Neben der Fischzucht dienten sie der Wasserversorgung der Stiftsstadt und vieler Gewerbebetriebe.

Die Verwaltung des Landes

Das Fürststift Kempten war um 1800 ein weitgehend geschlossenes Territorium mit ungefähr 40 000 Einwohnern.

Die unterste Verwaltungsebene bildete die Pfarrei oder die Hauptmannschaft.

Mehrere Pfarreien waren jeweils zu einem Pflegamt vereinigt. An seiner Spitze stand ein aus dem Stiftskapitel stammender Propst, ein Pfleger oder ein Pflegsverwalter. Das Pflegamt kümmerte sich um die öffentliche Ordnung und Sicherheit und protokollierte Verträge.

Zu den Leistungen der stiftischen Bürokratie gehörten die Anlage von Hypothekenbüchern und vor allem die „Vereinödung".

Bei dieser frühen Form der Flurbereinigung wurden die bisher gemeinsam genutzten Flächen auf die Berechtigten aufgeteilt. Grundstücke, die über die ganze Ortsflur verstreut lagen, wurden zugleich zusammengelegt. Dabei verband man die Arrondierung mit der Aussiedlung einzelner Höfe.


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