Beitrag der Neubürger zur Wirtschaftsentwicklung

Bei der wirtschaftlichen Eingliederung bildeten die Verteilung der Flüchtlinge nach Wohnraumaspekten und die agrarische Wirtschaftsstruktur Bayerns die größten Schwierigkeiten. Langfristig konnte eine gelungene Integration nur durch Schaffung neuer Arbeitsplätze gelingen. Viele Neubürger hatten jedoch für einen Arbeitsplatz einen sozialen Prestigeverlust hinnehmen müssen.

Die Währungsreform beendete die erste Phase einer relativ günstigen Beschäftigungsquote. Nach 1948 war der bayerische Arbeitsmarkt zunehmend von strukturellen Problemen gekennzeichnet. Zur Jahreswende 1949/1950 erreichte die Arbeitslosigkeit einen neuen Höchststand. Betroffen waren vor allem Angestellte und Landwirte. Bei den Flüchtlingen sank die Arbeitslosenquote ab 1952. Erst ab 1955 ging man von einer Vollbeschäftigung aus.

Öffentliche Gelder förderten den Aufbau von Handwerks- und Industriebetrieben. Es gab staatliche Kredite, Bürgschaften, Aufbaudarlehen und Lastenausgleichszahlungen. Hinzu kamen Hilfszahlungen aus den USA.

Die Neubürger haben einen wesentlichen Anteil am Wandel Bayerns vom Agrar- zum Industriestaat. Insbesondere neue Produktionszweige und Spezialindustrien trugen zu dieser Entwicklung bei.

Die wirtschaftliche Eingliederung der Flüchtlinge und Vertriebenen war einer der wichtigsten Bausteine für die erfolgreiche Integration. In Bayern war dies nach 1945 nur durch die Schaffung neuer Arbeitsplätze möglich. Arbeitsplätze, die der Ausbildung der Vertriebenen entsprachen, waren hier, wie in allen westlichen Besatzungszonen, kaum vorhanden. Die Wirtschaft lag darnieder und die Verteilung der ins Land strömenden Menschen nach verfügbarem Wohnraum konnte keine Rücksicht darauf nehmen, dass der Arbeitsmarkt in den Ballungsgebieten besser als auf dem Land war.

Die relative Vollbeschäftigung in den ersten beiden Nachkriegsjahren basierte darauf, dass die Vertriebenen überwiegend berufsfremde Beschäftigungen annahmen: Heimarbeit, schlecht bezahlte Frauenarbeit und Hilfsarbeiten. Sozialer Abstieg und zunehmende Resignation waren nicht zu vermeiden. Vor allem die einstmals Selbstständigen hatten bis zur Währungsreform wenig Möglichkeiten ihre frühere Tätigkeit aufzunehmen: Von den nach Bayern Ausgewiesenen gaben rund 31 Prozent aller Erwerbstätigen an, sie wären vor der Ausweisung selbstständig oder mithelfend gewesen, 1946 waren dies nur mehr 6,5 Prozent. Auch der Anteil der Angestellten und Beamten ging um fast 15 Prozent zurück, während sich der Anteil der Arbeiter verdoppelte.

Bei der einheimischen Bevölkerung ist dagegen nur eine geringfügige Umschichtung zwischen 1939 und 1946 feststellbar. Die Währungsreform beendete die relativ günstige Beschäftigungsquote der Nachkriegszeit. Die Arbeitslosigkeit stieg stark an. Der größte Teil der Flüchtlinge war ohne größere Barmittel und wirtschaftliche Ausrüstung nach Bayern gekommen. Die Währungsumstellung traf diese Berufssparten in hohem Maße. Hinzu kamen jetzt strukturelle Probleme auf dem bayerischen Arbeitsmarkt. Mitte März 1949 erreichte die Arbeitslosigkeit in Bayern einen neuen Höchststand.

Die Vertriebenen hatten darunter besonders zu leiden: Ende September 1949 lag der Arbeitslosenanteil bei den Einheimischen bei 2,9 Prozent, bei den Vertriebenen dagegen bei 7,6 Prozent. Das größte Handikap bei der Arbeitsvermittlung bildete noch immer ihre wohnraummäßige Verteilung. Während die Neubürger überwiegend auf dem Land oder in kleineren Städten lebten, konzentrierten sich Industrie und Gewerbe auf die Großstädte und einige wenige bayerische Gebiete. Die seit 1949 laufenden Umsiedlungsaktionen innerhalb der Westzonen brachten für den bayerischen Arbeitsmarkt kaum Entlastung. Innerhalb Bayerns konzentrierten sich die Wanderungsströme aus den ländlichen Gebieten in die Ballungszentren Würzburg, Augsburg, München und das Gebiet um Fürth, Erlangen und Nürnberg. Während in Oberbayern die Landflucht weniger zu beobachten war, ist diese Bewegung hauptsächlich für Niederbayern festzustellen.

Mit dem Wirtschaftsaufschwung seit Beginn der 50er Jahre begannen auch die Veränderungen in der Wirtschaftsstruktur erste Früchte zu tragen. Aufschwung und Umstrukturierung sind eng mit der wirtschaftlichen Eingliederung der Vertriebenen verbunden. Außerdem begannen endlich die positiven Effekte der Währungsreform zu wirken. Sie wurden von der neuen amerikanischen Deutschlandpolitik zu Beginn des Kalten Kriegs unterstützt. Zunehmend wagten ehemalige Unternehmer und Facharbeiter mit ihren Erfahrungen und unter Auffrischung alter Geschäftsbeziehungen einen Neubeginn.

Staatliche Bürgschaften (Flüchtlingsproduktivkredite), finanzielle Hilfszahlungen der Amerikaner (European Recovery Programm ERP) und die im Juli 1948 eingeführte Gewerbefreiheit begünstigten die Gewerbegründungen. Herausragende Beispiele sind fraglos die so genannten Flüchtlingsindustrien wie der Musikinstrumentenbau aus Schönbach und Graslitz, Gablonzer Schmuck- und Glaswaren, insgesamt die Glas- und Glasveredelungsindustrie, aber auch viele Bereiche in der Textilherstellung. Einige dieser Unternehmer hatten bereits vor der Vertreibung über internationale Kontakte verfügt wie Kunert in Immenstadt oder Wetzel-Oblaten in Dillingen. Sie reaktivierten ihre ehemaligen Mitarbeiter und konnten erfolgreich auf ihren alten Kundenstamm zurückgreifen. Die Neubürger beschränkten sich jedoch nicht auf ihre "alten" Berufssparten. Sie scheuten sich nicht, auch in "moderne" Bereiche zu investieren oder dort eine Arbeit aufzunehmen, vor allem in der chemischen und elektronischen Industrie.


Die Verlierer der Bemühungen um eine wirtschaftliche Integration waren und sind dagegen Bauern, Angestellte und Beamte, denen es nur selten gelang an ihre frühere berufliche und soziale Stellung anzuknüpfen.