Wohnen und Wohnungsbau

Aufgrund der Aufnahme von Flüchtlingen und Vertriebenen erreichte die Wohnungsnot unvorstellbare Ausmaße. Betroffen waren nicht nur die zerstörten Städte. Die Einquartierungen in den ländlichen Regionen verschärften auch dort die Wohnungssituation.

Die Unterbringung in Lagern und Notquartieren barg darüber hinaus sozialen Sprengstoff. Deshalb mussten die Wohnverhältnisse durch Initiativen im Wohnungsbau verbessert werden. Einige Lager wurden zu Wohnsiedlungen ausgebaut. Erst nach der Währungsreform setzte der Wohnungsbau in verstärktem Maße ein. Als Bauträger fungierten neben dem Staat karitative Institutionen, Wohnungsbaugesellschaften sowie die katholische und evangelische Kirche. In den Städten lag der Schwerpunkt auf dem Bau von Miet- und Eigentumswohnungen.

Im Vordergrund stand jedoch im Allgemeinen die Errichtung von Eigenheimen. Der notwendige Baugrund wurde in den Randlagen der Städte und Gemeinden ausgewiesen. So entstanden Neubürger-Siedlungen, wie Neugablonz. Bis in die Gegenwart führt man hier teilweise ein vom alten Ortskern getrenntes eigenes Leben.

Eine Sonderform bilden darüber hinaus die sogenannten "Flüchtlingsstädte" in Südbayern, wie Geretsried, Neutraubling, Traunreut und Waldkraiburg.


Die Wohnraumfrage wurde zum drängendsten Problem der neuen bayerischen Regierung, als die Alliierten im Herbst 1945 das Eintreffen der Vertriebenentransporte aus der Tschechoslowakei und anderen osteuropäischen Ländern ankündigten. Dabei herrschte bereits vor der Jahreswende 1945/46 große Wohnungsnot: Die Zerstörung von fast 15 Prozent des Wohnraumbestands von 1939 und die Beschlagnahmungen für Evakuierte, Displaced Persons, die Besatzungsmacht sowie Flüchtlinge aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten hatten die Lage dramatisch verschärft. Um die anstehenden Probleme zu lösen, wurde die Flüchtlingsverwaltung in der Wohnraumfrage mit weitreichenden Kompetenzen ausgestattet.


Der tatsächliche Bedarf an Wohnungen im Nachkriegsbayern kann nur geschätzt werden. Berechnungen der 50er Jahre schwanken zwischen 2,5 und 5,8 Millionen fehlenden Wohnungen, neuere Untersuchungen beziffern den Bedarf auf mehr als 620 000 Wohneinheiten. Nicht berücksichtigt sind allerdings die unzumutbaren Lebensumstände in den Lagern, auch in den als Wohnlager und Wohnsiedlungen deklarierten Unterkünften. Aus heutiger Sicht schwer vorstellbar ist die Nutzung ehemaliger Konzentrationslager, wie etwa Dachau, das nach 1949 als Wohnlager diente. In anderen Fällen wurden bestehende Barackenlager in Wohnlager und Wohnsiedlungen umgebaut.


Erst nach der Währungsreform und umfassend mit Beginn der 50er Jahre ging man entschiedener an die Verbesserung der Wohnverhältnisse. Als Bauträger fungierten nicht nur die öffentliche Hand, also Bund und Länder, sondern auch kirchliche Institutionen, neu gegründete Wohnungsbaugenossenschaften und -gesellschaften und in geringerem Umfang Privatpersonen. Das größte katholische Projekt im Rahmen der staatlichen Programme zur Lagerauflösung und innerbayerischen Umsiedlung war die Errichtung der Geigenbauer-Siedlung in Bubenreuth, deren Bauzustand in einem Modell von 1958 gezeigt wird.


Bauland wurde vor allem in den Dorfrandlagen ausgewiesen. In vielen Fällen dauerte es bis in die jüngste Vergangenheit, bis "alter" und "neuer" Gemeindeteil räumlich und damit auch integrativ zusammenwuchsen. Während in den ländlichen Gebieten die Vorliebe der "Nachkriegsdeutschen" für Eigenheime leichter befriedigt werden konnte, mussten sich die Bauträger in den Städten auf Wohnblöcke und Mietwohnungen konzentrieren. Einen Sonderweg stellen die so genannten Flüchtlingsstädte im südlichen Bayern dar: Geretsried, Traunreut, Waldkraiburg, Neutraubling und das zu Kaufbeuren gehörende Neugablonz. Auf Grund des größeren Bevölkerungsanteils von Flüchtlingen und Vertriebenen blieb dort auch deren kulturelles Erbe in Brauchtum und Sprache lebendiger. Das "mitgebrachte" Brauchtum wurde und wird in den Flüchtlingssiedlungen besonders gepflegt.

Die geschlossene Ansiedlung erleichterte es den Vertriebenen, ihre wirtschaftliche Kompetenz einzubringen und vor dem Krieg bestehende Verbindungen zu nutzen bzw. wiederzubeleben. Ein Beispiel dafür ist die Schmuckwarenherstellung in Neugablonz. Der Ausländer- und Aussiedleranteil liegt heute in den Flüchtlingsstädten über dem bayernweiten Durchschnitt. Die Stadt Traunreut zeichnet sich als Europastadt besonders durch die Integration von Ausländern und Spätaussiedlern aus.