fol. 87v/88r: "Eyn grosser Engel mitt Fast trefflichenn Edeln steynen vnd Berlen gestickt"
Die stehende Engelsfigur mit wahrscheinlich silbervergoldeten Flügeln hält ein Kreuzreliquiar und Nägel in Händen. Sockel und Gewand waren reich mit Perlen bestickt und mit Edelsteinen besetzt. Auch die Krone bestand aus Perlen und Steinen. Am Sockel ist das große Wappen des Kardinals Albrecht von Brandenburg und die Datierung "1518" zu sehen. Es könnte sich bei dieser kunstvollen Arbeit um ein Werk des Seidenstickers Hans Plock gehandelt haben. Der Seidensticker am Hof Kardinal Albrechts hat unter anderem auch den berühmten Perlenaltar gefertigt (fol. 427v), 
von dem sich Teile erhalten haben. Hans Plock gehört zu den Vertretern der Hallenser Stickarbeiten, die für ihre Kunstfertigkeit und hohe Qualität berühmt waren und bald in ganz Europa Verbreitung fanden. Zu Plocks Aufgaben als Hofseidensticker gehörte die Anfertigung von geistlichen Gewändern, verschiedensten Textilien mit Gold- und Silberstickerei bis zu gestickten Reliefbildern und Reliquienbehältnissen.
Die Engelsfigur enthielt 81 Partikel, die mit dem Leben Jesu in Zusammenhang stehen: Teile vom Heiligen Kreuz, von der Geißelsäule, ein Dorn und ein weiteres Stück von der Dornenkrone, ein Stein vom Kalvarienberg, der mit seinem Blut besprengt war, Erde, auf die sein Blut getropft ist, etwas aus der Stadt, in der seine Kleider aufgeteilt wurden, ein Teil des Lendentuchs, vom Stein, auf dem er vor dem Kreuz gesessen ist, von der Stadt, in der er Blut geschwitzt hat, von der Stadt, in der er gefangen genommen wurde, von der Stadt, in der das Letzte Abendmahl stattgefunden hat, vom Tischtuch, das er beim Letzten Abendmahl gebraucht hatte, vom Tisch des Letzten Abendmahls, vom Baum vor dem Haus des Pilatus, an dem Jesus angebunden stand, vom Kerker, in dem er misshandelt wurde, vom Schweißtuch, Grabtuch, vom Heiligen Rock, der sich in Trier befindet, von der Rinde, auf der er auf bloßen Knien gebetet hat, vom Korporal, das mit seinem Blut besprengt war. Zudem waren Partikel enthalten vom Stein, an dem Gott Moses das Gesetz verkündet hat, und vom Stein, unter dem Lazarus lag, als Jesus ihn zum Leben erweckte.
(Halm/Berliner II, 5)
–––––––––––––––
