Die Weiterleitungsstelle des Landesarbeitsamts Südbayern im Bunker unter Gleis 11
Ein Bericht von Kurt Spennesberger

Von einem anrührenden Erlebnis mit einem sehr jungen türkischen Mädchen, das mit bezüglich des Geburtsdatums gefälschten Ausweispapieren unterwegs war, wusste ein Reiseleiter erzählen. Das wohl noch nicht 18 Jahre alte Mädchen war erst zum Einstieg in das Flugzeug in Istanbul zu bewegen, als der Reiseleiter es an der Hand führte. Die einmal gegebene Hand ließ das Mädchen bis zur Landung in München nicht mehr los.

Nicht immer trafen die Sammelfahrten planmäßig in München ein. Selbst samstags oder sonntags kamen Gastarbeiter an, die dann zu versorgen und weiterzuleiten waren. Zu diesem Zweck gab es am Wochenende eine Rufbereitschaft, was in Zeiten ohne Handy bedeutete, zu Hause zu bleiben, um telefonisch erreichbar zu sein. Die Rufnummern der Kollegen waren der Bahnpolizei bekannt. Oft war Improvisation gefordert, gepaart mit Routine. War eine Weiterreise am selben Tag nicht mehr möglich, so standen im Bunker zwei Schlafräume mit insgesamt 50 Etagenbetten für die angekommenen Gastarbeiter zur Verfügung.

Eine Ausnahme von der Weiterleitung mit der Bahn stellten die für Berlin (West) bestimmten Gastarbeiter dar. Durch die DDR wären die Bahnreisenden im Interzonenverkehr unzumutbaren Kontrollen der DDR-Grenzorgane ausgesetzt gewesen. Aus diesem Grund wurden die Gastarbeiter mit Arbeitsverträgen für Berlin ab dem Münchner Hauptbahnhof mit Flughafenbussen nach München-Riem gebracht und reisten von dort auf dem Luftweg mit PanAm, Air France oder BEA nach Berlin; Lufthansa konnte aufgrund des Viermächtestatus nicht nach Berlin fliegen.

In einem ungewohnten Medienrummel stand die Weiterleitungsstelle, als der millionste in München angekommene Gastarbeiter aus dem Sonderzug von Istanbul stieg. Als Begrüßungsgeschenk bekam er ein Mofa. Der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, Josef Stingl, war zu den Ehrungen aus Nürnberg angereist. Fernsehen, Rundfunk und ein Heer von Pressevertretern verursachten hektisches Gedränge. Die Meldung wurde in allen Nachrichtensendungen verbreitet. Als die zweite Million erreicht wurde, war der Medienrummel nicht minder. Diesmal war es eine Frau aus Jugoslawien. Sie bekam ein Farbfernsehgerät als Begrüßungsgeschenk, damals eine technische Neuheit.
Unabhängig von diesen Ereignissen besuchte Josef Stingl regelmäßig, wenn ihn die Durchreise über den Münchner Hauptbahnhof führte, die Mitarbeiter seiner Behörde im Bunker.

Obwohl mit dem Anwerbestopp 1973 und der damit verbundenen Auflösung der Weiterleitungsstelle diese prägende Epoche in der Geschichte der Bundesanstalt für Arbeit zu Ende war, treffen sich die ehemaligen Kolleginnen und Kollegen der Weiterleitungsstelle noch heute regelmäßig in München. Altersbedingt wird der Kreis immer kleiner und der Verfasser dieses Berichts ist noch als einziger im aktiven Dienst der Bundesanstalt für Arbeit tätig.