Bis in unsere Tage hinein gibt es
viele Menschen – nicht nur in Deutschland –, die die Begriffe
Juden – Vaterland – Militär – Tapferkeit – Vaterlandsliebe nicht
auf einen Nenner bringen können: Für viele Bundesbürger, auch im
Freistaat Bayern, ist es schwer vorstellbar, daß Juden heute als
„ganz normale Soldaten" Dienst in der Bundeswehr tun. Aber auch
nicht wenigen Juden ist der Gedanke unheimlich, wenn nicht gar
unfaßbar, daß Juden einer Armee angehören können oder müssen,
deren Vorgänger mit dem Mord an sechs Millionen unschuldiger
jüdischer Menschen zumindest in Zusammenhang gebracht werden
kann. Doch trotz all dieser scheinbaren oder tatsächlichen
Ungereimtheiten – es gab, außer (offiziell) in der Zeit des
NS-Herrschaft in Deutschland, schon seit Jahrhunderten Juden in
den Armeen auf dem Gebiet des heutigen Deutschland, und es gibt
sie seit dem Bestehen der „neuen" Bundeswehr wieder.
Bitteres Unrecht und gemeine Behandlung – bis
hin zum Mord – hatten die jüdischen deutschen Soldaten von ihren
nichtjüdischen deutschen „Kameraden" erdulden müssen: Sie wurden
ihrer Dienstgrade, Orden und Ehrenzeichen beraubt, mußten
unvorstellbare Demütigungen und Schikanen ertragen, wurden in
Gefängnissen und Konzentrationslagern körperlich und geistig
kaputtgemacht, verloren durch feigen Mord ihre
Fami-lienmitglieder und zum Schluß auch ihr eigenes Leben.
Verantwortliche des „Dritten Reiches" gingen sogar so weit,
Grabstätten gefallener jüdischer Soldaten (z.B. in Frankreich)
zu beseitigen: Ihre Grabstelen mit dem Davidstern wurden durch
Kreuze mit der Inschrift „Unbekannter deutscher Soldat"
ersetzt.
Die extrem judenfeindliche Propaganda war
außerordentlich erfolgreich. Ein recht großer Teil des deutschen
Volkes glaubte (und glaubt teilweise heute immer noch) nach
jahrelanger Indoktrination, daß Juden am Ersten (und auch am
Zweiten) Weltkrieg schuld seien, daß sie sich als
Kriegsgewinnler an diesem für die ganze Welt nachteiligen
Unglück beteiligt hätten. Sie stellten sich die Juden so vor,
wie sie die NS-Propaganda zeigte: feige, hinterhältig, gemein,
u.s.w. Bis heute hat sich – bei einem nicht geringen Teil der
deutschen Bevölkerung – diese Einstellung nicht geändert.
Dabei können die Bürger der Bundesrepublik
Deutschland und im Freistaat Bayern Zeugnisse dafür, daß Juden
als tapfere deutsche Soldaten ihr Leben für dieses ihr
„Vaterland" nicht nur aufs Spiel setzen, sondern auch
opferbereit hingaben, oft in unmittelbarer Nähe finden: auf
jüdischen Friedhöfen, auf Gedenktafeln an oder
in Friedhofshäusern, Synagogen oder einstigen Synagogen, aber
auch auf noch existierenden, ganz normalen kommunalen
Kriegerdenkmalen in vielen bayerischen Städten und Dörfern. Dazu
möchte die vorliegende Dokumentation einen bescheidenen Beitrag
leisten.
Die Ziele, die zum Abfassen dieser Dokumentation
bewogen haben, sind vielfältig. Zum einen sollten die Menschen
in der Bundesrepublik Deutschland, besonders aber im Freistaat
Bayern, erkennen, daß Juden sich bis zum Ausbruch des Dritten
Reiches, einige sogar bis zu ihrem Tode vor oder nach 1945 , als
patriotisch gesinnte Deutsche bzw. Bayern gefühlt haben und daß
sie als Soldaten für ihr Vaterland – genauso wie ihre
nichtjüdischen „Mitbürger" – gekämpft haben und gefallen sind.
Diese weithin unbekannte Tatsache sollte möglichst breiten
Teilen der Bevölkerung – besonders den jungen Menschen – bewußt
werden.
Von einer großen Zahl der Angehörigen der
bewaffneten Streitkräfte wurden Juden bis 1945 und auch noch
lange Zeit danach – von einigen eigentlich bis zum heutigen Tage
– als Drückeberger, Feiglinge und ehrlose Kriegsgewinnler
angesehen, die Deutschland aus gewissenloser Profitgier den
Krieg aufgezwungen haben. Dieses absolut idiotische Denken ist
mit großer Sicherheit noch in nicht wenigen Köpfen vorhanden,
wie einem anonymen Schreiben vom 26.9.1995 mit Poststempel
Hamburg zu entnehmen ist. Soldaten der Bundeswehr – der
demokratischen Armee des wiedervereinigten Deutschland – sollten
mit Hilfe dieser Dokumentation erkennen können, daß die
jüdischen deutschen Soldaten bis 1933 auch ihre Kameraden waren.
Einige der wenigen jüdischen Bundeswehrangehörigen seit 1955 bis
heute verstanden und verstehen sich als Glieder dieser bis in
die vergangenen Jahrhunderte reichenden militärischen Tradition,
die wesentlich mehr ist als die bösen und den deutschen Namen
und die deutsche soldatische Ehre entwürdigenden Ereignisse von
1933 bis 1945. Vielleicht könnte erreicht werden, daß sich
Bundeswehreinheiten um einzelne jüdische Soldatengräber kümmern
und diese effektiv vor böswilligen Schändungen schützen.
Sollte bei den Menschen in Bayern und
möglicherweise darüber hinaus in der Bundesrepublik Deutschland
– und besonders bei den jungen Staatsbürgern – die Beschäftigung
mit dieser Dokumentation bewirken, daß sie Kenntnis über die
Rolle der jüdischen deutschen Soldaten erhalten und dadurch
diesen tapferen, opferbereiten, patriotischen Männern gegenüber
eine objektive Haltung einnehmen, die für ihre Einstellung
keinen oder einen sehr üblen „Dank des Vaterlandes" ernteten,
dann hätte das Buch sein Ziel erreicht.
ISRAEL SCHWIERZ
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