Wer eine Reise durch den Nordosten Frankreichs unternimmt, der kann feststellen, daß es dort eine sehr große Anzahl von Friedhöfen gibt – Soldatenfriedhöfe verschiedener Nationen aus den Kriegen 1870/71, 1914/18 und 1939/45. Der interessierte Betrachter wird bei näherem Hinsehen erkennen, daß auf fast allen Friedhöfen des Ersten Weltkrieges (1914 – 1918) verschiedenartige Grabsteine auf die Religionszugehörigkeit der hier Bestatteten hinweisen: Juden, Christen, Moslems und Atheisten haben hier nach „dem Heldentod fürs Vaterland" ihre letzte Ruhestätte gefunden. Bei intensiverer Betrachtung der deutschen Soldatenfriedhöfe aus dem Ersten Weltkrieg kann man erkennen, daß unter den vielen christlichen Grabkreuzen auch Stelen mit dem Davidstern und einigen hebräischen Buchstaben zu finden sind: Hier sind jüdische deutsche Soldaten bestattet, die ihr Leben für ihr Vaterland geopfert haben. Die Tatsache der Existenz solcher Gräber ruft bei vielen Friedhofsbesuchern, und nicht nur bei jüngeren, immer wieder ungläubiges Staunen, ja Unverständnis hervor. Gab es denn so etwas wirklich, jüdische deutsche Soldaten ? 

Aufgabe dieser Dokumentation kann es auf keinen Fall sein, eine detaillierte Beschreibung über die Aktivitäten von Juden in Deutschen Armeen – und hier besonders im bayerischen Militär – zu erstellen. Nur einer Minderheit von Bürgern der Bundesrepublik Deutschland dürfte jedoch bekannt sein, daß es – außer in der Zeit der NS-Herrschaft – schon seit Jahrhunderten Juden in den Armeen auf dem Gebiet des heutigen Deutschland gab, und daß es sie – wenn auch in relativ kleiner Anzahl – seit dem Bestehen der Bundeswehr in Deutschland wieder gibt.

Schon in der Zeit, als auf dem Gebiet des heutigen Deutschland noch viele selbständige große und kleine Staaten existierten, waren Juden aktiv an militärischen Handlungen beteiligt, sei es bei der Verteidigung der Städte, z.B. vor dem oder im »Sieben-jährigen Krieg« (1756 – 1763) oder bei der Versorgung der Truppen. Die ersten bekannten sicheren »steinernen« Nachweise für die Teilnahme jüdischer Soldaten an einem »deutschen« Krieg kann man auf den jüdischen Friedhöfen in STEINHART, in FÜRTH und in HARBURG im Freistaat Bayern finden: In FÜRTH steht heute noch der Grabstein für DAVID KOPPEL s.A. auf dem alten jüdischen Friedhof, in STEINHART der von SAMUEL BEROLZHEIMER s.A., in HARBURG der von MENDEL BENDEL s.A.; alle drei waren Veteranen aus dem Befreiungskrieg gegen Napoleon 1813/14. Weitere steinerne Zeugnisse der Teilnahme jüdischer Soldaten an Kampfhandlungen, die mit ihrem Tod endeten, findet man in BAD KISSINGEN; dort kann man auf dem jüdischen Friedhof Gräber von bayerischen und preußischen Soldaten aus dem »deutschen Krieg« („Einigungskrieg") 1866 (Preußen gegen Österreich) sehen.

Die nächste kriegerische Auseinandersetzung fand 1870/71 statt: der deutsch-französische Krieg, der zur Reichsgründung führte. Diesem Krieg sind kommunale Kriegerdenkmale zuzuordnen, die sich in verschiedenen Orten Bayerns befinden, – z.B. in AUB, in GEORGENSGMÜND und in REICHENBERG. Hier wurden auch die Namen der jüdischen Kriegsteilnehmer und Gefallenen verewigt. Alle diese Gedenksteine sind sichere Nachweise dafür, daß Juden aus dem Königreich Bayern als vaterlandsliebende bayerische Soldaten für ihre Heimat und ihren König kämpften, daß sie bereit waren, ihre Gesundheit und ihr Leben für dieses Land und seinen Monarchen zu opfern.

Durch die aktive Teilnahme an Kriegen wollten die patriotischen jüdischen Soldaten, die sich in großer Zahl – besonders im Befreiungskrieg 1813 – freiwillig zum Dienst für Herrscher und Vaterland »zu den Waffen« meldeten, ihre Emanzipation erreichen, um dadurch – wenigstens teilweise – die Lage der Juden auch Allgemeinen zu verbessern. Die Verwirklichung dieser Ziele gelang ihnen jedoch kaum oder gar nicht. Denn bald nach Beendigung des jeweiligen Krieges setzten stets starke judenfeindliche – zunächst religiös und gegen Ende des 19. Jahrhunderts immer stärker rassistisch motivierte – Aktivitäten konservativer Parteien und Gruppen, aber auch von seiten der Monarchen und der militärischen Führung ein, die immer ihr Ziel erreichten. So war es bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges beispielsweise einem jüdischen Soldaten kaum oder gar nicht möglich, aktiver Offizier oder Militärbeamter zu werden. Ein Jude durfte zwar für Kaiser (König) und Vaterland als Soldat sterben, er konnte aber keinen höheren militärischen Dienstgrad bekleiden. Lediglich im Königreich Bayern (und ganz vereinzelt auch im Königreich Sachsen) wurden Ausnahmen von dieser diskriminierenden Regelung gemacht; in Bayern konnten Juden nicht nur Reserveoffiziere werden, auch höhere Dienstgrade (bis hin zum Generalarzt!) waren – wenn auch nur ganz selten – möglich.

Und dennoch – trotz der nicht wenigen äußerst bitteren und deprimierenden Erfahrungen waren und blieben die (ab der Reichsgründung 1871) „deutschen Juden" glühende Patrioten. Als der Erste Weltkrieg 1914 ausbrach, sahen sie erneut eine gute Gelegenheit, ihre Vaterlandsliebe, ihre Treue zu Herrscher und Heimat und auch ihre militärische Tüchtigkeit und Tapferkeit unter Beweis zu stellen und gleichzeitig die volle Emanzipation ihrer Glaubensbrüder in Deutschland zu erreichen. Deutlich ist dieses Bestreben aus dem eindrucksvollen Zitat, einem Auszug aus dem Testament des jüdischen Fliegerleutnants JOSEF ZÜRNDORFER s.A. aus Rexingen, zu erkennen: „Ich bin als Deutscher ins Feld gezogen, um mein bedrängtes Vaterland zu schützen. Aber auch als Jude, um die volle Gleichberechtigung meiner Glaubensbrüder zu erstreiten." 

Als der Krieg begann, eilten daher viele patriotisch gesinnte Juden aus dem ganzen Deutschen Reich – der jüngste war der 14jährige EUGEN SCHEYER, ein Gymnasiast aus Königsberg in Ostpreußen – freudig und opferbereit »zu den Fahnen«. Von 1914 bis 1918 waren fast 100.000 jüdische Männer (= 17,3 % der mit ca. 500.000 Personen geschätzten jüdischen Einwohnerzahl des damaligen Deutschen Reiches) Soldaten in den deutschen Armeen: Mannschaften, Unteroffiziere, Offiziere, Militärärzte, Feldgeistliche (Feldrabbiner), Militärbeamte; ca. 80.000 (80 % der Gesamtzahl) waren als Soldaten an der Front eingesetzt. Von allen am Krieg teilnehmenden jüdischen deutschen Soldaten gaben ca. 12.000 ihr Leben für ihr deutsches Vaterland hin. 

Daß die jüdischen Kriegsteilnehmer ihren nichtjüdischen Kameraden in nichts nachstanden, kann man den folgenden statistischen Angaben entnehmen: Von 84.352 gezählten (jüdischen) Soldaten erhielten 29.874 (= 35,42 %) eine militärische Auszeichnung, 19.545 (= 23,17 %) wurden befördert, von den Beförderten wurden 2.022 (= 2,4 %) Offiziere. 

Steinerne Zeugnisse des Kampfeswillens, des Opfermutes und auch des Sterbens jüdischer bayerischer Soldaten „für König und Vaterland" im Verlaufe des Ersten Weltkriegs sind heute noch auf zahlreichen Kriegerdenkmalen, auf Soldatengräbern, auf Grabsteinen für Verstorbene, in denen unter dem Namen des Bestatteten auch – oft unter einem „Eisernen Kreuz" – der des gefallenen Ehegatten, Sohnes oder Bruders, der in fremder Erde seine letzte Ruhestätte gefunden hat, zu lesen ist, auf jüdischen Friedhöfen, aber auch auf Gedenktafeln in oder an Synagogen oder ehemaligen Synagogengebäuden in allen bayerischen Regierungsbezirken zu sehen. Relativ häufig kann man die Namen jüdischer Gefallener und Vermißter auf kirchlichen oder kommunalen Kriegerdenkmalen, die sich auf öffentlichen Flächen, in christlichen Friedhöfen oder auch in Kirchen und Kapellen befinden, auch heute noch entziffern. 

Aus den Inschriften der jüdischen Kriegerdenkmale und Grabsteine kann man sehr anschaulich die patriotische Gesinnung der bayerischen Juden erkennen: 

„Fürs Vaterland seid Ihr gestorben: Wir ehren Euch", 
„Fürs Judentum habt Ihr erworben das Himmelreich" 

(Jüdischer Friedhof NÖRDLINGEN), 

„Für das Vaterland sind gestorben..." 

(Jüdischer Friedhof WÜRZBURG), 

„Die Israelitische Kultusgemeinde Bamberg in dankbarer Erinnerung ihren im Weltkrieg 1914-18 fürs Vaterland gefallenen Söhnen" 
oder 
„Im Dienst des Vaterlandes starb in Nordfrankreich auf dem Felde der Ehre ..." 

(Jüdischer Friedhof Cham).

 

 

Dabei gab es bereits zu Kriegsbeginn – besonders in Preußen – wohl bei nicht wenigen Dienststellen bzw. militärischen Vorgesetzten Juden gegenüber sehr große Vorbehalte, was sich ganz besonders auf die Beförderung auswirkte; erst ab der zweiten Hälfte des Krieges, als auch dem härtesten Judenfeind klargeworden sein mußte, daß Juden zumindest genauso gute Soldaten waren wie Nichtjuden (wenn nicht sogar manchmal bessere!), wurden die Beförderungen wenigstens ein wenig gerechter durchgeführt. Das kann man deutlich an den jüdischen Grabsteinen auf den zahlreichen deutschen Soldatenfriedhöfen in Frankreich erkennen: Im ersten Kriegsjahr sind sehr viele jüdische Mannschaften unter den hier Bestatteten, in den folgenden Jahren kann man zunehmend Gräber von gefallenen Unteroffizieren und auch Offizieren finden.

Diese Tatsache aber erregte wiederum den Haß der Antisemiten, die vornehmlich in den nationalistischen Kreisen und teilweise auch in der militärischen Führungsriege, besonders der des preußischen Kriegsministeriums, zu finden waren. Sie holten zum ersten gemeinen Schlag gegen die jüdischen Soldaten aller Dienstgrade – vom einfachen Soldaten bis zum höchsten Offizier – aus: Die berüchtigte „Judenzählung" wurde 1916 durchgeführt. Ziel dieser Maßnahme war es – auch wenn dies geleugnet wurde –, die jüdischen Soldaten als Soldaten zweiter Klasse zu diskriminieren, die nicht an der Front zu suchen waren, sondern in der Etappe, die sich also im sicheren Hinterland vor dem gefährlichen Kriegseinsatz an der Front drückten. Für die patriotisch gesinnten jüdischen deutschen Soldaten bedeutete die Zählung den Beginn einer schlimmen Zeit des Leidens: Sie hatten das Gefühl, gezeichnet worden zu sein, Hoffnungslosigkeit und Mißtrauen waren die Folge.

Was die jüdischen deutschen Soldaten angesichts der gemeinen „Judenzählung" empfanden, das gibt am besten das ergreifende, für die Verantwortlichen beschämende Gedicht von Frau FRIEDENREICH, HANNOVER: „An meinen Jungen!" (Eine deu-tsche Mutter jüdischen Glaubens), veröffentlicht im „Israelitischen Familienblatt" vom 10.5.1917, wieder:

AN MEINEN JUNGEN!
(Eine deutsche Mutter jüdischen Glaubens)
Mein Jung! – Warst noch nicht siebzehn alt,
Als der Kriegsruf erklang mit Donnergewalt!
„Oh Mutter, laß mich mit in den Krieg
Zu unseres Vaterlands Ehre und Sieg."
„Du bist noch ein Kind – man lacht Dich aus,
Nur starke Männer ziehen hinaus."
„Mutter, sieh hin – mein Arm ist stark,
Hab’ in den Knochen gut deutsches Mark,
Unser Kaiser braucht alle die Alten und Jungen,
Für alle ist sein Ruf erklungen –
O laß mich mit hinaus in den Krieg
Zu Deutschlands Ehre zu Deutschlands Sieg".
So ließ ich Dich ziehn – mein einziges Kind.
Mehr als zwei Jahre verflossen sind –
Hast nichts errungen – nicht Stern nicht Orden,
Bist gestern im Felde „neunzehn" geworden,
Ein einfacher, braver, deutscher Soldat,
Der manches Mal mehr als sein Pflichtteil tat.
Hätt’ nimmermehr Dein Tun besungen,
Warst wie andre wackere deutsche Jungen!
Aber mein Junge – wer hätte gedacht –
Daß wir hier es so herrlich weit gebracht
Und daß, dieweil Ihr im Schützengraben,
Wir im Lande „Judenzählung" haben!
Als Du im heiligen Jugendmut
Dem Vaterlande botest Dein junges Blut,
Hast Du damals bedacht mein Jung, was Du bist –
Ob deutscher Jude, ob deutscher Christ?
Als Deutschlands Sohn zogst Du hinaus,
Ganz Deutschland war Dein Vaterhaus.
Wie warst Du, mein Junge, opferbereit
Für Deutschlands große herrliche Zeit!
Und nun mein Junge – wenn wir uns wiedersehen,
Wenn wir Aug’ in Aug’ gegenüberstehen –
Dann Junge, dann mir ballt sich die Hand,
Dann schämen wir uns für unser Vaterland.
Heut gilt Dir mein schweres, schmerzhaftes Bangen,
Weil Dir eine Welt in Trümmer gegangen.
Tiefere Wunden, als feindliches Blei
Brachten die „deutschen Brüder" Dir bei. 


Wenn die Zählung auch ein völlig anderes Ergebnis brachte und die patriotische Gesinnung der jüdischen deutschen Soldaten bestätigte, die giftige Saat der Verleumdung war unter die Menschen – an der Front und in der Heimat – gesät worden, sie begann zu wachsen und sich mehr und mehr auszubreiten. Als dann 1918 auch noch der Krieg verloren worden war – die Kapitulation war für die jüdischen Soldaten genauso schmerzhaft, wenn nicht sogar noch schmerzhafter, wie für ihre nichtjüdischen „Kameraden" –, da hatten die Judenhasser schnell die „Schuldigen" an dieser Niederlage parat: Es waren die Juden, die vor allem für das Unglück verantwortlich gemacht wurden.

Da halfen auch die Aktivitäten des am 08.2.1919 durch den Hauptmann d.R. Dr. Leo LÖWENSTEIN gegründeteten „Reichsbund jüdischer Frontsoldaten" (RjF) wenig. Es war für die Antisemiten doch so leicht und angenehm, die „Schuldigen an Deutschlands Niederlage" benennen zu können. Wie schmerzhaft mußten für die Männer, die ihre Gesundheit, für die Mütter, die ihre Söhne, die Frauen, die ihre Männer, die Kinder, die ihre Väter dem „Vaterland" geopfert hatten, diese gemeinen und niederträchtigen Agitationen gewesen sein! Die zahlreichen Publikationen des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten rufen heute noch bei vielen Juden bittere Gefühle hervor.

Wo blieben die nichtjüdischen „Kameraden" jener jüdischen Frontsoldaten, als ihre Kameradschaft sich hätte beweisen können? War es nicht so, daß es zwischen nichtjüdischen und jüdischen Soldaten in Wirklichkeit kaum eine echte „Kriegs-kameradschaft" gab? 

Es kam noch schlimmer. Mit dem Aufkommen des Nationalsozialismus wurden die Diffamierungen der jüdischen deutschen Soldaten immer mehr gesteigert. Juden wurden grundsätzlich als Feiglinge, Drückeberger und Volksschädlinge hingestellt, ungeachtet ihrer Verdienste und ihrer Tapferkeit. Ab 1933 wurden die wenigen noch in der Reichswehr verbliebenen jüdischen Soldaten nach und nach systematisch entfernt (falls sie sich nicht schon von selbst auf Grund der vielfachen Schikanen zum freiwilligen Ausscheiden aus der Armee entschlossen hatten). 1934 – also noch vor den „Nürnberger Gesetzen" (1935) – hatte sich die Wehrmacht durch vielerlei antijüdische Maßnahmen ihrer jüdischen „Kameraden zweiter Klasse" von selbst entledigt.

Das Verhältnis der deutschen Streitkräfte zu den jüdischen deutschen Soldaten des Ersten Weltkrieges – den einstigen „Kameraden" – ist wohl der schlimmste und auch beschämendste Teil deutscher Militärgeschichte. Ungeachtet einer ganzen Reihe von rühmlichen und beeindruckenden Ausnahmen wurden die jüdischen deutschen Soldaten von ihren einstigen „Kameraden" nicht nur im Stich gelassen, sie wurden von nationalsozialistisch denkenden Teilnehmern des Ersten Weltkrieges gedemütigt, an Leib und Seele geschädigt und in nicht wenigen Fällen in den Arbeits- und Vernichtungslagern ermordet.

Ab 1933 verschlechterte sich die Lage der Juden – auch der jüdischen Soldaten – im Deutschen Reich stetig. Die jüdischen Frontkämpfer, denen das vom Reichspräsidenten Generalfeldmarschall von Hindenburg gestiftete „Ehrenkreuz für Frontkämpfer" im Namen des Führers und Reichskanzlers (Adolf Hitler) ab 13.7.1934 verliehen worden ist, wurden von diesen Maßnahmen ebenfalls nicht verschont. Juden wurden nun mit Erfolg systematisch aus dem politischen und wirtschaftlichen Leben Deutschlands entfernt worden.

Der 9./10. November 1938 (das Pogrom fand in einigen Orten auch zu einem anderen Zeitpunkt statt) – heute unter den Namen „Reichskristallnacht" oder „Reichspogromnacht" bekannt - ist ein weiteres sehr dunkles Kapitel in der deutschen Geschichte, auch in der Militärgeschichte. Viele „brave Deutsche" – unter ihnen auch nicht wenige Soldaten des Ersten Weltkrieges – drangen in die Synagogen ein und zertrümmerten hier neben Torarollen, Ritualien und Inventar sogar die Gedenktafeln an die jüdischen Gefallenen des Ersten Weltkrieges (z.B. in Rimpar und in Veitshöchheim). Welche Gefühle hatten die Schänder der eigenen Geschichte und – so könnte man sich fragen – ihrer eigenen soldatischen Ehre (falls sie so etwas besaßen) bei diesem Tun? Es gab aber auch Deutsche – es waren sogar Nationalsozialisten dabei, die dieses Verhalten anwiderte. 

Selbst vor Soldatengräbern auf jüdischen Friedhöfen machte der antisemitische Haß nicht Halt. Es ist heute anhand der Bruchstellen gut zu erkennen, daß die Grabsteine vorsätzlich beschädigt bzw. zerschlagen wurden. Für Judenhasser früher und heute war und ist die Tatsache, daß Juden Deutschland als Soldaten gedient, daß sie für Deutschland gekämpft oder gar gefallen sein könnten, unbegreifbar; sie wollen und können diesen Fakt weder respektieren noch akzeptieren.

Daß in der „Reichskristallnacht" Wohnungen jüdischer Frontkämpfer geplündert und demoliert, daß die früheren jüdischen „Kameraden" aus dem Schützengraben (unter ihnen sogar Kriegsversehrte!) von „tapferen SA und SS-Angehörigen" mißhandelt und in die KZs gesteckt worden sind, sei nur der Vollständigkeit wegen erwähnt.

Auch in der Folgezeit – eigentlich bis 1945 – verwendete man in Deutschland allerhand Ideen und nicht wenig Energie darauf, das ehrende Gedenken an die 1914 – 1918 gefallenen jüdischen deutschen Soldaten für die Nachwelt so effektiv wie möglich zu tilgen. So wurden in einigen Orten des Großdeutschen Reiches (in Bayern konnte bis jetzt ein solcher Ort allerdings noch nicht nachgewiesen werden) aus kommunalen Soldatendenkmälern und „Heldengedenktafeln" die Namen der jüdischen Gefallenen herausgemeißelt oder auf sonstige Art entfernt.

Besonders perfide verfuhr man nach der Besetzung Frankreichs mit den dort auf zahlreichen deutschen Soldatenfriedhöfen vorhandenen Stelen für die jüdischen Gefallenen. Nach dem Motto „Es kann kein Jude für Deutschland gefallen sein" wurden die Grabsteine mit dem Davidstern entfernt und durch ein Kreuz mit der Aufschrift „Unbekannter deutscher Soldat" ersetzt. Es ist eine der besonders zu lobenden und ehrenvollen Aktivitäten des „Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge", daß durch seine unermüdliche Arbeit nach 1945 die jüdischen Gräber gesucht und wiedergefunden werden konnten und daß dann den dort bestatteten, für Deutschland gefallenen jüdischen deutschen Soldaten wieder ihr Name und damit die ihnen zukommende Ehre zurückgegeben wurde.

In der nachfolgenden Dokumentation – die keinen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit und Vollständigkeit erhebt – sind die recht zahlreichen Orte alphabetisch aufgelistet, an denen heute noch Zeugnisse für die Opferbereitschaft, den Patriotismus und das Sterben jüdischer deutscher Soldaten zu finden sind: auf jüdischen Friedhöfen, in oder an Synagogen, einstigen Synagogen, Kirchen und Kapellen sowie auf kommunalen Kriegerdenkmälern, auf denen die Namen von Gefallenen der „Einigungskriege" (1860, 1866, 1870/71) und des Ersten Weltkrieges zu finden sind. Es ist eine traurige Tatsache, daß es in einigen Synagogen (z.B. in Erlangen) Gedenktafeln mit den Namen der jüdischen deutschen Soldaten gegeben hat, die ihr Leben „freudig für ihr deutsches Vaterland" hingegeben haben. Diese wurden wohl im Verlaufe der „Reichskristallnacht" oder danach vernichtet. 

Es ist ferner durchaus auch möglich, daß sich trotz intensiver Recherche auf einem kommunalen Denkmal eines hier nicht aufgeführten Ortes in Bayern der Name eines jüdischen Gefallenen oder Vermißten befindet, der in dieser Dokumentation nicht erwähnt wurde. Ich wäre sehr froh, wenn ich über einen solchen Fund informiert würde.

Der Umgang mit dem Gedenken an die für Deutschland gefallenen jüdischen Soldaten war und ist in Bayern keineswegs einheitlich, ganz im Gegenteil, er ruft auch heute – und vielleicht in einigen Fällen besonders heute – teilweise gute und bewundernde, teilweise aber auch traurige, ja unverständliche Empfindungen hervor.

Einige Ortschaften in Bayern weisen auf ihrem Kriegerdenkmal mit keinem Wort darauf hin, daß aus dieser Kommune auch Juden zu den Gefallenen oder Vermißten des Ersten Weltkrieges gehörten. Das mag zum Teil daran liegen, daß an diesem Ort damals ein jüdischer Friedhof und eine Synagoge existierten und die Bürger deshalb annahmen, die jüdische Gemeinde wolle ihre Gefallenen selbst ehren.

Sehr befremdlich, ja traurig ist jedoch die Tatsache, daß in einigen Orten Bayerns nach 1945 ein Denkmal für die Opfer beider Weltkriege errichtet worden ist und daß auf diesem Mahnmal die jüdischen Gefallenen absichtlich weggelassen wurden (nach dem Motto: „Es kann kein Jude für Deutschland gefallen sein"). Die Erklärung einer bayerischen Kommune spricht wohl für sich selbst:

„ ... teilen wir Ihnen mit, daß es in der Gemeinde ... seit 1961 ein neues Kriegerdenkmal mit den Namen der Gefallenen des

1. und 2. Weltkrieges gibt. Allerdings sind darauf lediglich die Gefallenen der ortsansässigen Familien aufgeführt. ... Über Simon Franken existiert allerdings lediglich ein Hinweis im alph. Sterberegister unter 1918 ..." „in der Gemeinde existierte im 19. und 20. Jahrhundert eine jüdische Gemeinde, der auch der Gefallene angehörte. Anm. d. Verf." Andere Kommunen, in denen es keine jüdische Gemeinde gegeben hatte, wo aber offensichtlich Juden wohnten, teilten mit, daß auf ihrem Kriegerdenkmal weder der Name des Gefallenen X. vermerkt sei noch sonstige jüdische Namen; auf der Liste der Gefallenen war der Gesuchte dann aber doch zu finden.

Es konnten aber auch erfreuliche Fakten festgestellt werden. In Ansbach war auf dem Ulanendenkmal der Name des jüdischen Gefallenen BENJAMIN HERZ verewigt, der bei der für das Regiment verlustreichen Attacke von Lagarde am 11.8.1914 gefallen ist. Obwohl die Tafeln des Denkmals im Jahre 1938 (!) durch neue ersetzt worden waren, wurde der Name nicht entfernt.

Es gibt einige Kriegerdenkmäler, die vor, während oder auch nach dem „Dritten Reich" errichtet worden waren. Zunächst hatte man die Namen der jüdischen Kriegstoten – aus welchen Gründen auch immer – weggelassen. Mittlerweile allerdings sind sie auf dem Denkmal zu sehen: Geschichtsbewußte bzw. wahrheitsliebende Kommunalpolitiker hatten sie – manchmal auch gegen den Widerstand einiger Andersdenkender – nachtragen lassen.

Es gibt auch eine ganze Anzahl von Orten, die sich bereits vor, besonders aber während der Zeit des Nationalsozialismus mit judenfeindlicher Haltung und ebensolchen Aktionen nicht gerade Zurückhaltung auferlegt haben. Umso erstaunlicher ist die Tatsache, daß man die Namen der jüdischen Gefallenen auf den örtlichen Kriegerdenkmälern nicht nur verewigt, sondern zur Zeit des Nationalsozialismus auch belassen hat.