Wer eine Reise durch den Nordosten
Frankreichs unternimmt, der kann feststellen, daß es dort eine
sehr große Anzahl von Friedhöfen gibt – Soldatenfriedhöfe verschiedener
Nationen aus den Kriegen 1870/71, 1914/18 und 1939/45. Der interessierte
Betrachter wird bei näherem Hinsehen erkennen, daß auf fast
allen Friedhöfen des Ersten Weltkrieges (1914 – 1918) verschiedenartige
Grabsteine auf die Religionszugehörigkeit der hier Bestatteten
hinweisen: Juden, Christen, Moslems und Atheisten haben hier
nach „dem Heldentod fürs Vaterland" ihre letzte Ruhestätte gefunden.
Bei intensiverer Betrachtung der deutschen Soldatenfriedhöfe
aus dem Ersten Weltkrieg kann man erkennen, daß unter den vielen
christlichen Grabkreuzen auch Stelen mit dem Davidstern und
einigen hebräischen Buchstaben zu finden sind: Hier sind jüdische
deutsche Soldaten bestattet, die ihr Leben für ihr Vaterland
geopfert haben. Die Tatsache der Existenz solcher Gräber ruft
bei vielen Friedhofsbesuchern, und nicht nur bei jüngeren, immer
wieder ungläubiges Staunen, ja Unverständnis hervor. Gab es
denn so etwas wirklich, jüdische deutsche Soldaten ?
Aufgabe dieser Dokumentation
kann es auf keinen Fall sein, eine detaillierte Beschreibung
über die Aktivitäten von Juden in Deutschen Armeen – und hier
besonders im bayerischen Militär – zu erstellen. Nur einer Minderheit
von Bürgern der Bundesrepublik Deutschland dürfte jedoch bekannt
sein, daß es – außer in der Zeit der NS-Herrschaft – schon seit
Jahrhunderten Juden in den Armeen auf dem Gebiet des heutigen
Deutschland gab, und daß es sie – wenn auch in relativ kleiner
Anzahl – seit dem Bestehen der Bundeswehr in Deutschland wieder
gibt.
Schon in der Zeit, als auf dem
Gebiet des heutigen Deutschland noch viele selbständige große
und kleine Staaten existierten, waren Juden aktiv an militärischen
Handlungen beteiligt, sei es bei der Verteidigung der Städte,
z.B. vor dem oder im »Sieben-jährigen Krieg« (1756 – 1763) oder
bei der Versorgung der Truppen. Die ersten bekannten sicheren
»steinernen« Nachweise für die Teilnahme jüdischer Soldaten
an einem »deutschen« Krieg kann man auf den jüdischen Friedhöfen
in STEINHART, in FÜRTH und in HARBURG im Freistaat Bayern finden:
In FÜRTH steht heute noch der Grabstein für DAVID KOPPEL s.A.
auf dem alten jüdischen Friedhof, in STEINHART der von SAMUEL
BEROLZHEIMER s.A., in HARBURG der von MENDEL BENDEL s.A.; alle
drei waren Veteranen aus dem Befreiungskrieg gegen Napoleon
1813/14. Weitere steinerne Zeugnisse der Teilnahme jüdischer
Soldaten an Kampfhandlungen, die mit ihrem Tod endeten, findet
man in BAD KISSINGEN; dort kann man auf dem jüdischen Friedhof
Gräber von bayerischen und preußischen Soldaten aus dem »deutschen
Krieg« („Einigungskrieg") 1866 (Preußen gegen Österreich) sehen.
Die nächste kriegerische Auseinandersetzung
fand 1870/71 statt: der deutsch-französische Krieg, der zur
Reichsgründung führte. Diesem Krieg sind kommunale Kriegerdenkmale
zuzuordnen, die sich in verschiedenen Orten Bayerns befinden,
– z.B. in AUB, in GEORGENSGMÜND und in REICHENBERG. Hier wurden
auch die Namen der jüdischen Kriegsteilnehmer und Gefallenen
verewigt. Alle diese Gedenksteine sind sichere Nachweise dafür,
daß Juden aus dem Königreich Bayern als vaterlandsliebende bayerische
Soldaten für ihre Heimat und ihren König kämpften, daß sie bereit
waren, ihre Gesundheit und ihr Leben für dieses Land und seinen
Monarchen zu opfern.
Durch die aktive Teilnahme an
Kriegen wollten die patriotischen jüdischen Soldaten, die sich
in großer Zahl – besonders im Befreiungskrieg 1813 – freiwillig
zum Dienst für Herrscher und Vaterland »zu den Waffen« meldeten,
ihre Emanzipation erreichen, um dadurch – wenigstens teilweise
– die Lage der Juden auch Allgemeinen zu verbessern. Die Verwirklichung
dieser Ziele gelang ihnen jedoch kaum oder gar nicht. Denn bald
nach Beendigung des jeweiligen Krieges setzten stets starke
judenfeindliche – zunächst religiös und gegen Ende des 19. Jahrhunderts
immer stärker rassistisch motivierte – Aktivitäten konservativer
Parteien und Gruppen, aber auch von seiten der Monarchen und
der militärischen Führung ein, die immer ihr Ziel erreichten.
So war es bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges beispielsweise
einem jüdischen Soldaten kaum oder gar nicht möglich, aktiver
Offizier oder Militärbeamter zu werden. Ein Jude durfte zwar
für Kaiser (König) und Vaterland als Soldat sterben, er konnte
aber keinen höheren militärischen Dienstgrad bekleiden. Lediglich
im Königreich Bayern (und ganz vereinzelt auch im Königreich
Sachsen) wurden Ausnahmen von dieser diskriminierenden Regelung
gemacht; in Bayern konnten Juden nicht nur Reserveoffiziere
werden, auch höhere Dienstgrade (bis hin zum Generalarzt!) waren
– wenn auch nur ganz selten – möglich.
Und
dennoch – trotz der nicht wenigen äußerst bitteren und deprimierenden
Erfahrungen waren und blieben die (ab der Reichsgründung 1871)
„deutschen Juden" glühende Patrioten. Als der Erste Weltkrieg
1914 ausbrach, sahen sie erneut eine gute Gelegenheit, ihre
Vaterlandsliebe, ihre Treue zu Herrscher und Heimat und auch
ihre militärische Tüchtigkeit und Tapferkeit unter Beweis
zu stellen und gleichzeitig die volle Emanzipation ihrer Glaubensbrüder
in Deutschland zu erreichen. Deutlich ist dieses Bestreben
aus dem eindrucksvollen Zitat, einem Auszug aus dem Testament
des jüdischen Fliegerleutnants JOSEF ZÜRNDORFER s.A. aus Rexingen,
zu erkennen: „Ich bin als Deutscher ins Feld gezogen, um mein
bedrängtes Vaterland zu schützen. Aber auch als Jude, um die
volle Gleichberechtigung meiner Glaubensbrüder zu erstreiten."
Als der Krieg begann, eilten
daher viele patriotisch gesinnte Juden aus dem ganzen Deutschen
Reich – der jüngste war der 14jährige EUGEN SCHEYER, ein Gymnasiast
aus Königsberg in Ostpreußen – freudig und opferbereit »zu
den Fahnen«. Von 1914 bis 1918 waren fast 100.000 jüdische
Männer (= 17,3 % der mit ca. 500.000 Personen geschätzten
jüdischen Einwohnerzahl des damaligen Deutschen Reiches) Soldaten
in den deutschen Armeen: Mannschaften, Unteroffiziere, Offiziere,
Militärärzte, Feldgeistliche (Feldrabbiner), Militärbeamte;
ca. 80.000 (80 % der Gesamtzahl) waren als Soldaten an der
Front eingesetzt. Von allen am Krieg teilnehmenden jüdischen
deutschen Soldaten gaben ca. 12.000 ihr Leben für ihr deutsches
Vaterland hin.
Daß die jüdischen Kriegsteilnehmer
ihren nichtjüdischen Kameraden in nichts nachstanden, kann
man den folgenden statistischen Angaben entnehmen: Von 84.352
gezählten (jüdischen) Soldaten erhielten 29.874 (= 35,42 %)
eine militärische Auszeichnung, 19.545 (= 23,17 %) wurden
befördert, von den Beförderten wurden 2.022 (= 2,4 %) Offiziere.
Steinerne Zeugnisse des Kampfeswillens,
des Opfermutes und auch des Sterbens jüdischer bayerischer
Soldaten „für König und Vaterland" im Verlaufe des Ersten
Weltkriegs sind heute noch auf zahlreichen Kriegerdenkmalen,
auf Soldatengräbern, auf Grabsteinen für Verstorbene, in denen
unter dem Namen des Bestatteten auch – oft unter einem „Eisernen
Kreuz" – der des gefallenen Ehegatten, Sohnes oder Bruders,
der in fremder Erde seine letzte Ruhestätte gefunden hat,
zu lesen ist, auf jüdischen Friedhöfen, aber auch auf Gedenktafeln
in oder an Synagogen oder ehemaligen Synagogengebäuden in
allen bayerischen Regierungsbezirken zu sehen. Relativ häufig
kann man die Namen jüdischer Gefallener und Vermißter auf
kirchlichen oder kommunalen Kriegerdenkmalen, die sich auf
öffentlichen Flächen, in christlichen Friedhöfen oder auch
in Kirchen und Kapellen befinden, auch heute noch entziffern.
Aus den Inschriften der jüdischen
Kriegerdenkmale und Grabsteine kann man sehr anschaulich die
patriotische Gesinnung der bayerischen Juden erkennen:
„Fürs
Vaterland seid Ihr gestorben: Wir ehren Euch",
„Fürs Judentum habt Ihr erworben
das Himmelreich"
(Jüdischer Friedhof
NÖRDLINGEN),
„Für das Vaterland sind gestorben..."
(Jüdischer Friedhof
WÜRZBURG),
„Die Israelitische Kultusgemeinde Bamberg in dankbarer Erinnerung
ihren im Weltkrieg 1914-18 fürs Vaterland gefallenen Söhnen"
oder
„Im Dienst des Vaterlandes starb in Nordfrankreich auf dem Felde der Ehre ..."
(Jüdischer Friedhof
Cham).
Dabei
gab es bereits zu Kriegsbeginn – besonders in Preußen – wohl
bei nicht wenigen Dienststellen bzw. militärischen Vorgesetzten
Juden gegenüber sehr große Vorbehalte, was sich ganz besonders
auf die Beförderung auswirkte; erst ab der zweiten Hälfte
des Krieges, als auch dem härtesten Judenfeind klargeworden
sein mußte, daß Juden zumindest genauso gute Soldaten waren
wie Nichtjuden (wenn nicht sogar manchmal bessere!), wurden
die Beförderungen wenigstens ein wenig gerechter durchgeführt.
Das kann man deutlich an den jüdischen Grabsteinen auf den
zahlreichen deutschen Soldatenfriedhöfen in Frankreich erkennen:
Im ersten Kriegsjahr sind sehr viele jüdische Mannschaften
unter den hier Bestatteten, in den folgenden Jahren kann man
zunehmend Gräber von gefallenen Unteroffizieren und auch Offizieren
finden.
Diese Tatsache aber erregte
wiederum den Haß der Antisemiten, die vornehmlich in den nationalistischen
Kreisen und teilweise auch in der militärischen Führungsriege,
besonders der des preußischen Kriegsministeriums, zu finden
waren. Sie holten zum ersten gemeinen Schlag gegen die jüdischen
Soldaten aller Dienstgrade – vom einfachen Soldaten bis zum
höchsten Offizier – aus: Die berüchtigte „Judenzählung" wurde
1916 durchgeführt. Ziel dieser Maßnahme war es – auch wenn
dies geleugnet wurde –, die jüdischen Soldaten als Soldaten
zweiter Klasse zu diskriminieren, die nicht an der Front zu
suchen waren, sondern in der Etappe, die sich also im sicheren
Hinterland vor dem gefährlichen Kriegseinsatz an der Front
drückten. Für die patriotisch gesinnten jüdischen deutschen
Soldaten bedeutete die Zählung den Beginn einer schlimmen
Zeit des Leidens: Sie hatten das Gefühl, gezeichnet worden
zu sein, Hoffnungslosigkeit und Mißtrauen waren die Folge.
Was die jüdischen deutschen
Soldaten angesichts der gemeinen „Judenzählung" empfanden,
das gibt am besten das ergreifende, für die Verantwortlichen
beschämende Gedicht von Frau FRIEDENREICH, HANNOVER: „An meinen
Jungen!" (Eine deu-tsche Mutter jüdischen Glaubens), veröffentlicht
im „Israelitischen Familienblatt" vom 10.5.1917, wieder:
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AN
MEINEN JUNGEN!
(Eine deutsche Mutter jüdischen Glaubens)
Mein Jung! – Warst noch nicht siebzehn alt,
Als der Kriegsruf erklang mit Donnergewalt!
„Oh Mutter, laß mich mit in den Krieg
Zu unseres Vaterlands Ehre und Sieg."
„Du bist noch ein Kind – man lacht Dich aus,
Nur starke Männer ziehen hinaus."
„Mutter, sieh hin – mein Arm ist stark,
Hab’ in den Knochen gut deutsches Mark,
Unser Kaiser braucht alle die Alten und Jungen,
Für alle ist sein Ruf erklungen –
O laß mich mit hinaus in den Krieg
Zu Deutschlands Ehre zu Deutschlands Sieg".
So ließ ich Dich ziehn – mein einziges Kind.
Mehr als zwei Jahre verflossen sind –
Hast nichts errungen – nicht Stern nicht Orden,
Bist gestern im Felde „neunzehn" geworden,
Ein einfacher, braver, deutscher Soldat,
Der manches Mal mehr als sein Pflichtteil tat.
Hätt’ nimmermehr Dein Tun besungen,
Warst wie andre wackere deutsche Jungen!
Aber mein Junge – wer hätte gedacht –
Daß wir hier es so herrlich weit gebracht
Und daß, dieweil Ihr im Schützengraben,
Wir im Lande „Judenzählung" haben!
Als Du im heiligen Jugendmut
Dem Vaterlande botest Dein junges Blut,
Hast Du damals bedacht mein Jung, was Du bist –
Ob deutscher Jude, ob deutscher Christ?
Als Deutschlands Sohn zogst Du hinaus,
Ganz Deutschland war Dein Vaterhaus.
Wie warst Du, mein Junge, opferbereit
Für Deutschlands große herrliche Zeit!
Und nun mein Junge – wenn wir uns wiedersehen,
Wenn wir Aug’ in Aug’ gegenüberstehen –
Dann Junge, dann mir ballt sich die Hand,
Dann schämen wir uns für unser Vaterland.
Heut gilt Dir mein schweres, schmerzhaftes Bangen,
Weil Dir eine Welt in Trümmer gegangen.
Tiefere Wunden, als feindliches Blei
Brachten die „deutschen Brüder" Dir bei. |
Wenn die Zählung auch ein
völlig anderes Ergebnis brachte und die patriotische Gesinnung
der jüdischen deutschen Soldaten bestätigte, die giftige Saat
der Verleumdung war unter die Menschen – an der Front und
in der Heimat – gesät worden, sie begann zu wachsen und sich
mehr und mehr auszubreiten. Als dann 1918 auch noch der Krieg
verloren worden war – die Kapitulation war für die jüdischen
Soldaten genauso schmerzhaft, wenn nicht sogar noch schmerzhafter,
wie für ihre nichtjüdischen „Kameraden" –, da hatten die Judenhasser
schnell die „Schuldigen" an dieser Niederlage parat: Es waren
die Juden, die vor allem für das Unglück verantwortlich gemacht
wurden.
Da halfen auch die Aktivitäten
des am 08.2.1919 durch den Hauptmann d.R. Dr. Leo LÖWENSTEIN
gegründeteten „Reichsbund jüdischer Frontsoldaten" (RjF) wenig.
Es war für die Antisemiten doch so leicht und angenehm, die
„Schuldigen an Deutschlands Niederlage" benennen zu können.
Wie schmerzhaft mußten für die Männer, die ihre Gesundheit,
für die Mütter, die ihre Söhne, die Frauen, die ihre Männer,
die Kinder, die ihre Väter dem „Vaterland" geopfert hatten,
diese gemeinen und niederträchtigen Agitationen gewesen sein!
Die zahlreichen Publikationen des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten
rufen heute noch bei vielen Juden bittere Gefühle hervor.
Wo blieben die nichtjüdischen
„Kameraden" jener jüdischen Frontsoldaten, als ihre Kameradschaft
sich hätte beweisen können? War es nicht so, daß es zwischen
nichtjüdischen und jüdischen Soldaten in Wirklichkeit kaum
eine echte „Kriegs-kameradschaft" gab?
Es kam noch schlimmer. Mit
dem Aufkommen des Nationalsozialismus wurden die Diffamierungen
der jüdischen deutschen Soldaten immer mehr gesteigert. Juden
wurden grundsätzlich als Feiglinge, Drückeberger und Volksschädlinge
hingestellt, ungeachtet ihrer Verdienste und ihrer Tapferkeit.
Ab 1933 wurden die wenigen noch in der Reichswehr verbliebenen
jüdischen Soldaten nach und nach systematisch entfernt (falls
sie sich nicht schon von selbst auf Grund der vielfachen Schikanen
zum freiwilligen Ausscheiden aus der Armee entschlossen hatten).
1934 – also noch vor den „Nürnberger Gesetzen" (1935) – hatte
sich die Wehrmacht durch vielerlei antijüdische Maßnahmen
ihrer jüdischen „Kameraden zweiter Klasse" von selbst entledigt.
Das
Verhältnis der deutschen Streitkräfte zu den jüdischen deutschen
Soldaten des Ersten Weltkrieges – den einstigen „Kameraden"
– ist wohl der schlimmste und auch beschämendste Teil deutscher
Militärgeschichte. Ungeachtet einer ganzen Reihe von rühmlichen
und beeindruckenden Ausnahmen wurden die jüdischen deutschen
Soldaten von ihren einstigen „Kameraden" nicht nur im Stich
gelassen, sie wurden von nationalsozialistisch denkenden Teilnehmern
des Ersten Weltkrieges gedemütigt, an Leib und Seele geschädigt
und in nicht wenigen Fällen in den Arbeits- und Vernichtungslagern
ermordet.
Ab 1933 verschlechterte sich
die Lage der Juden – auch der jüdischen Soldaten – im Deutschen
Reich stetig. Die jüdischen Frontkämpfer, denen das vom Reichspräsidenten
Generalfeldmarschall von Hindenburg gestiftete „Ehrenkreuz
für Frontkämpfer" im Namen des Führers und Reichskanzlers
(Adolf Hitler) ab 13.7.1934 verliehen worden ist, wurden von
diesen Maßnahmen ebenfalls nicht verschont. Juden wurden nun
mit Erfolg systematisch aus dem politischen und wirtschaftlichen
Leben Deutschlands entfernt worden.
Der 9./10. November 1938 (das
Pogrom fand in einigen Orten auch zu einem anderen Zeitpunkt
statt) – heute unter den Namen „Reichskristallnacht" oder
„Reichspogromnacht" bekannt - ist ein weiteres sehr dunkles
Kapitel in der deutschen Geschichte, auch in der Militärgeschichte.
Viele „brave Deutsche" – unter ihnen auch nicht wenige Soldaten
des Ersten Weltkrieges – drangen in die Synagogen ein und
zertrümmerten hier neben Torarollen, Ritualien und Inventar
sogar die Gedenktafeln an die jüdischen Gefallenen des Ersten
Weltkrieges (z.B. in Rimpar und in Veitshöchheim). Welche
Gefühle hatten die Schänder der eigenen Geschichte und – so
könnte man sich fragen – ihrer eigenen soldatischen Ehre (falls
sie so etwas besaßen) bei diesem Tun? Es gab aber auch Deutsche
– es waren sogar Nationalsozialisten dabei, die dieses Verhalten
anwiderte.
Selbst vor Soldatengräbern
auf jüdischen Friedhöfen machte der antisemitische Haß nicht
Halt. Es ist heute anhand der Bruchstellen gut zu erkennen,
daß die Grabsteine vorsätzlich beschädigt bzw. zerschlagen
wurden. Für Judenhasser früher und heute war und ist die Tatsache,
daß Juden Deutschland als Soldaten gedient, daß sie für Deutschland
gekämpft oder gar gefallen sein könnten, unbegreifbar; sie
wollen und können diesen Fakt weder respektieren noch akzeptieren.
Daß in der „Reichskristallnacht"
Wohnungen jüdischer Frontkämpfer geplündert und demoliert,
daß die früheren jüdischen „Kameraden" aus dem Schützengraben
(unter ihnen sogar Kriegsversehrte!) von „tapferen SA und
SS-Angehörigen" mißhandelt und in die KZs gesteckt worden
sind, sei nur der Vollständigkeit wegen erwähnt.
Auch in der Folgezeit – eigentlich
bis 1945 – verwendete man in Deutschland allerhand Ideen und
nicht wenig Energie darauf, das ehrende Gedenken an die 1914
– 1918 gefallenen jüdischen deutschen Soldaten für die Nachwelt
so effektiv wie möglich zu tilgen. So wurden in einigen Orten
des Großdeutschen Reiches (in Bayern konnte bis jetzt ein
solcher Ort allerdings noch nicht nachgewiesen werden) aus
kommunalen Soldatendenkmälern und „Heldengedenktafeln" die
Namen der jüdischen Gefallenen herausgemeißelt oder auf sonstige
Art entfernt.
Besonders perfide verfuhr
man nach der Besetzung Frankreichs mit den dort auf zahlreichen
deutschen Soldatenfriedhöfen vorhandenen Stelen für die jüdischen
Gefallenen. Nach dem Motto „Es kann kein Jude für Deutschland
gefallen sein" wurden die Grabsteine mit dem Davidstern entfernt
und durch ein Kreuz mit der Aufschrift „Unbekannter deutscher
Soldat" ersetzt. Es ist eine der besonders zu lobenden und
ehrenvollen Aktivitäten des „Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge",
daß durch seine unermüdliche Arbeit nach 1945 die jüdischen
Gräber gesucht und wiedergefunden werden konnten und daß dann
den dort bestatteten, für Deutschland gefallenen jüdischen
deutschen Soldaten wieder ihr Name und damit die ihnen zukommende
Ehre zurückgegeben wurde.
In der nachfolgenden Dokumentation
– die keinen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit und Vollständigkeit
erhebt – sind die recht zahlreichen Orte alphabetisch aufgelistet,
an denen heute noch Zeugnisse für die Opferbereitschaft, den
Patriotismus und das Sterben jüdischer deutscher Soldaten
zu finden sind: auf jüdischen Friedhöfen, in oder an Synagogen,
einstigen Synagogen, Kirchen und Kapellen sowie auf kommunalen
Kriegerdenkmälern, auf denen die Namen von Gefallenen der
„Einigungskriege" (1860, 1866, 1870/71) und des Ersten Weltkrieges
zu finden sind. Es ist eine traurige Tatsache, daß es in einigen
Synagogen (z.B. in Erlangen) Gedenktafeln mit den Namen der
jüdischen deutschen Soldaten gegeben hat, die ihr Leben „freudig
für ihr deutsches Vaterland" hingegeben haben. Diese wurden
wohl im Verlaufe der „Reichskristallnacht" oder danach vernichtet.
Es ist ferner durchaus auch
möglich, daß sich trotz intensiver Recherche auf einem kommunalen
Denkmal eines hier nicht aufgeführten Ortes in Bayern der
Name eines jüdischen Gefallenen oder Vermißten befindet, der
in dieser Dokumentation nicht erwähnt wurde. Ich wäre sehr
froh, wenn ich über einen solchen Fund informiert würde.
Der Umgang mit dem Gedenken
an die für Deutschland gefallenen jüdischen Soldaten war und
ist in Bayern keineswegs einheitlich, ganz im Gegenteil, er
ruft auch heute – und vielleicht in einigen Fällen besonders
heute – teilweise gute und bewundernde, teilweise aber auch
traurige, ja unverständliche Empfindungen hervor.
Einige Ortschaften in Bayern
weisen auf ihrem Kriegerdenkmal mit keinem Wort darauf hin,
daß aus dieser Kommune auch Juden zu den Gefallenen oder Vermißten
des Ersten Weltkrieges gehörten. Das mag zum Teil daran liegen,
daß an diesem Ort damals ein jüdischer Friedhof und eine Synagoge
existierten und die Bürger deshalb annahmen, die jüdische
Gemeinde wolle ihre Gefallenen selbst ehren.
Sehr befremdlich, ja traurig
ist jedoch die Tatsache, daß in einigen Orten Bayerns nach
1945 ein Denkmal für die Opfer beider Weltkriege errichtet
worden ist und daß auf diesem Mahnmal die jüdischen Gefallenen
absichtlich weggelassen wurden (nach dem Motto: „Es kann kein
Jude für Deutschland gefallen sein"). Die Erklärung einer
bayerischen Kommune spricht wohl für sich selbst:
„ ... teilen wir Ihnen mit, daß es
in der Gemeinde ... seit 1961 ein neues Kriegerdenkmal mit
den Namen der Gefallenen des
1. und 2. Weltkrieges gibt.
Allerdings sind darauf lediglich die Gefallenen der ortsansässigen
Familien aufgeführt. ... Über Simon Franken existiert allerdings
lediglich ein Hinweis im alph. Sterberegister unter 1918 ..."
„in der Gemeinde existierte im 19. und 20. Jahrhundert eine
jüdische Gemeinde, der auch der Gefallene angehörte. Anm.
d. Verf." Andere Kommunen, in denen es keine jüdische Gemeinde
gegeben hatte, wo aber offensichtlich Juden wohnten, teilten
mit, daß auf ihrem Kriegerdenkmal weder der Name des Gefallenen
X. vermerkt sei noch sonstige jüdische Namen; auf der Liste
der Gefallenen war der Gesuchte dann aber doch zu finden.
Es konnten aber auch erfreuliche
Fakten festgestellt werden. In Ansbach war auf dem Ulanendenkmal
der Name des jüdischen Gefallenen BENJAMIN HERZ verewigt,
der bei der für das Regiment verlustreichen Attacke von Lagarde
am 11.8.1914 gefallen ist. Obwohl die Tafeln des Denkmals
im Jahre 1938 (!) durch neue ersetzt worden waren, wurde der
Name nicht entfernt.
Es gibt einige Kriegerdenkmäler,
die vor, während oder auch nach dem „Dritten Reich" errichtet
worden waren. Zunächst hatte man die Namen der jüdischen Kriegstoten
– aus welchen Gründen auch immer – weggelassen. Mittlerweile
allerdings sind sie auf dem Denkmal zu sehen: Geschichtsbewußte
bzw. wahrheitsliebende Kommunalpolitiker hatten sie – manchmal
auch gegen den Widerstand einiger Andersdenkender – nachtragen
lassen.
Es gibt auch eine ganze Anzahl
von Orten, die sich bereits vor, besonders aber während der
Zeit des Nationalsozialismus mit judenfeindlicher Haltung
und ebensolchen Aktionen nicht gerade Zurückhaltung auferlegt
haben. Umso erstaunlicher ist die Tatsache, daß man die Namen
der jüdischen Gefallenen auf den örtlichen Kriegerdenkmälern
nicht nur verewigt, sondern zur Zeit des Nationalsozialismus
auch belassen hat.
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