.
 

Trennlinie 01

Trennlinie 02 Trennlinie 06
Bildteppiche > Einleitung

Geschichte und Bedeutung der Bildteppiche

Bereits bei den ältesten Kulturvölkern dienten gewirkte Behänge zum Schmuck der Zelte, Paläste und Tempel. Bei den Babyloniern, Assyrern, Persern und den Ägyptern war die Technik der Bildwirkerei bekannt und erfüllte repräsentative Funktionen. Einige Quellen belegen eine Blüte der Textilkunst in der griechischen Antike, man denke nur an die Arbeit Penelopes an dem Leichentuch für Laertes, von der Homer im 19. Gesang der Odyssee berichtet.
In Byzanz waren Paläste mit Behängen mit figürlichen Darstellungen, den kostbarsten Textilien, ausgestattet. Die Funktion und Wertigkeit wurde in Zeremonienbüchern festgelegt. In diesem Zusammenhang findet man bereits emblematische Darstellungen wie Löwen, Adler, Trauben, Widder oder Pfauen, genauso die Darstellung des Herrschers. Es gab auch Wirkereien mit Bildererzählungen, die der Repräsentation des Herrschers dienten. So stellt der kostbare Altarbehang der Hagia Sophia die Wundertaten Christi, aber auch die guten Werke Kaiser Justinians I. (527-565) und seiner Frau Theodoras dar.
Auch in frühchristlicher Zeit wurden zu besonderen Anlässen hochrangige Tapisserien zur Ausstattung von Kirchen und sakralen Stätten verwendet. Dabei wurde der antike Kaiserkult auf die Christusverehrung übertragen. Mosaiken stellen den mit Teppichen geschmückten Thron dar. Wie in früheren Zeiten die Herrscheraulen wurden nun Kirchenräume mit figürlichen Bildteppichen geschmückt. Eiserne Ringe in den römischen Kirchen zeugen davon, dass bereits im frühen Mittelalter Kirchen mit Tapisserien ausgestattet werden konnten. Man teilte auf diese Weise die Kirchenschiffe voneinander ab und verkleidete an Festtagen die offenen Dachstühle mit diesen Textilien. Von den reichen Stiftungen für Kirchen und Klöster im Mittelalter sind z. B. drei Wirkteppiche aus dem Dom zu Halberstadt aus dem 12. Jahrhundert oder die Apokalypse-Teppiche aus der Kathedrale von Angers aus dem 14. Jahrhundert erhalten.
Den endgültigen Durchbruch dieser Kunstgattung als allgemein anerkannte europäische Hofkunst erlebte die Teppichwirkerei im frühen 16. Jahrhundert im Sog der Raffael-Teppiche und den zahlreichen monumentalen Tapisserien, die Karl V. in Auftrag gab. Hoher Besuch wurde mit entsprechend kostbarem textilen Wandschmuck geehrt: Als sich Kaiser Karl V. 1530 in Reggio aufhielt, wurden im Palast der Adelsfamilie d‘Este Tapisserien von erlesener Qualität aufgehängt. Der Kaiser, überwältigt von der Ausführung, wünschte sie mithilfe von Fackel genauer zu betrachten. Dies zeigt die Wertschätzung dieser Kunstwerke. Im Abendland wurden die kostbaren Textilien lange Zeit importiert. Zusammen mit dem Tafelsilber galten sie als wichtigste Bestandteile des Zeremoniells. Es war nicht zuletzt die „Mobilität“ der Tapisserien, die bis zum Sesshaftwerden des Adels im 16. Jahrhundert dessen Lebensstil entgegenkam. Die Räume konnten mittels der textilen Behänge leicht dem jeweiligen Zweck angepasst werden. Doch auch die fortschreitende Differenzierung der frühneuzeitlichen Palastarchitektur bedurfte der Tapisserien für die zeremoniellen Erfordernisse, um entsprechende Räume angemessen hervorzuheben. In Teppichinventaren läßt sich häufig eine Rangfolge der einzelnen Stücke feststellen. Golddurchwirkt und damit in ihrer Bedeutung besonders hervorgehoben waren die Darstellungen der Herrscherviten oder der Genealogien. Gelegentlich wurden diese kostbarsten Serien auch ein weiteres Mal angefertigt, um die erste Version zu schonen. Für den täglichen Gebrauch begnügte man sich häufig mit Substituten. Dieses Prinzip lässt sich auf die Kirchenausstattungen übertragen. Wurden im alltäglichen Gebrauch lediglich die auf Leinwand gemalten Darstellungen gezeigt, so dienten an Festtagen die kostbaren Originale als Schmuck.
Wie bei Staatsbesuchen wurden auch bei Hochzeiten, also bei Festen höchster politischer Bedeutung, die textilen Prachtstücke präsentiert. Im Vorfeld solcher Ereignisse lassen sich auch vielfach umfangreiche Neuanschaffungen nachweisen. Hierzu gehören fast obligatorisch die gewirkten Allianzwappen der Hochzeitspaare. Teppiche begleiteten ihren adligen Besitzer bis ins 17. Jahrhundert auf fast allen Lebenswegen wie die Kleidung. Sie wurden auf Reisen, sogar auf Kriegszügen mitgeführt. Bis ins 18. Jahrhundert war für die Pflege und Betreuung dieser Stücke eigenes Personal zuständig.
Wichtige Teppichwirkerzentren waren im 14. und 15. Jahrhundert Konstanz, Basel, Straßburg, Freiburg im Breisgau, Mainz, Nürnberg und Köln. Im 16. Jahrhundert kamen Zentren in den Niederlanden und in Flandern hinzu, die neue Anregungen lieferten.
Tapisserien hatten unter den repräsentativen Medien immer eine herausragende Stellung. Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass die Wandbehänge in den häufig kalten Gemäuern auch eine wärmende Funktion hatten und die Akustik der großen Räume verbesserten. Dennoch spielten diese praktischen Erwägungen sicherlich kaum eine Rolle für den Erwerb der hochrangigen Luxusgüter, zumal in der Blütezeit der Tapisserien, im 16. Jahrhundert, die Residenzen längst beheizt wurden. Nicht nur als Kunstwerke genossen die Tapisserien allerhöchstes Ansehen, sie stellten auch als beleihbares Kapital einen hohen Wert dar. Im Unterschied zu anderen Kunstgattungen haben sich die Tapisserien von den Anfängen bis zum Ende des Ancien Régimes kaum aus ihren ursprünglichen Verwendungszusammenhängen gelöst. Sie dienten in erster Linie der herrschaftlichen Repräsentation und schmückten die Räumlichkeiten des höfischen Zeremoniells. Der größte Teil wurde die meiste Zeit in Depots verwahrt und nur bei entsprechenden Anlässen hervorgeholt.

Magdalene Gärnter

[PDF]