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136 C

Modell eines Festgespanns der Spaten-Brauerei

München, 2.Hälfte 20. Jahrhundert | Holz, Leder,Textil,

36x142x26cm | Spaten-Franziskaner Bräu, München

Stein befestigt war, mit einer Hand und

richtete sich damit auf. Der Steyrer Hans

begann mit einem Vier-Zentner-Block −

damals 224 Kilogramm. Bald schon war

er in der Lage, den Stein an einem leder-

ummantelten Haken nur mit dem rechten

Mittelfinger aufzuheben.

Ab den 1870er-Jahren trat Steyrer in

mehreren deutschen Städten auf. 1879

stellte er im Zirkus Herzog in München

einen Weltrekord auf: Der Überlieferung

nach hob er mit dem Mittelfinger einen

528 Pfund (= 264 Kilogramm) schweren

Stein. Heute kommt beim alljährlichen

Starkbierfest im Münchner Löwenbräu-

keller ein 508-Pfund-Block zum Einsatz,

der auf einen anderen Steyrer-Stein zu-

rückgeht, aber mit beiden Händen geho-

ben wird. In den 1880er-Jahren war der

„bayerische Herkules“ auch in Österreich,

Frankreich, Belgien und den Niederlan-

den unterwegs, von 1881 bis 1884 ließ er

sich in Amsterdam nieder und betrieb dort

ein Café und ein bayerisches Wirtshaus,

in dem Pschorr-Bier ausgeschenkt wurde.

In München betrieb Hans Steyrer ver-

schiedene Gaststätten – auch dies unter

Einsatz aller Kräfte: Er soll 40-Liter-Holz-

bierfässer nur mit Daumen und Zeigefinger

auf den Schanktisch gewuchtet haben. 1879

bewirtschaftete er erstmals eineWirtsbude

auf dem Oktoberfest. Das „Kraftbier“, das

er ausschenkte, kam von der Spaten-Brau-

erei. In seinen Wirtsbuden „Zum bayeri-

schen Herkules“ servierte er „Kraftwürstl“,

ließ eine „Athletenkapelle“ mit Hüten in

Form von Kugelgewichten auftreten und

stellte seine Steine und Hanteln zur Schau.

Es kursieren widersprüchliche Angaben

darüber, in welchem Jahr er am Eröffnungs-

tag mit Familie und Personal in einem reich

geschmückten Wagenzug samt Musikbe-

gleitung zur Wiesn gefahren ist. Die häu-

fig genannten Daten 1879 und 1887 sind

unglaubwürdig, weil Steyrer sein Gasthaus

in München-Obergiesing, von dem er nach

einhelliger Meinung abfuhr, erst seit 1890

innehatte. Die Polizei hielt den Zug bereits

beim „Weißen Bräuhaus“ in der Innen-

stadt auf.Weil er für seinen derart Aufsehen

erregenden Umzug keine Genehmigung

eingeholt hatte, wurde Steyrer zu einer

Geldstrafe von 100 Mark verurteilt. Ein un-

datierter Zeitungsartikel, der sich im Stadt-

archiv München erhalten hat, zitiert ihn

so: „Am Anfang vom neu’n Jahrhundert,

hab i mir denkt – fahrst du außi. I fahr g’wiß

nimma, Herr Oberamtsrichta.“ Demnach

hätte dieser erste Vorläufer des festlichen

Einzugs der Wiesnwirte im Jahr 1900

stattgefunden. Seit 1930 ist der Einzug der

Festgespanne der Wirte und der Münchner

Brauereien ein fester Programmpunkt des

Oktoberfestauftakts.

M.N.

Quellen:

Stadtarchiv München,

ZA

Personen 502/56

Lit.:

Dering/Eymold, Oktoberfest, S.105; Moser,

Hans Steyrer

07 Bierberühmtheiten und Bierschätze

303

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