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04 Zwischen Biertisch und Kegelbahn

179

Katalog

050

Am Stammtisch herrschte

strenge Ordnung: Großbauern, Pfarrer

und Dorfhonoratioren saßen zusammen,

Kleinbauern und Taglöhner blieben

ebenfalls unter sich.

D

er Wirtshausbesuch war für die er-

wachsenen Männer fester Bestand-

teil des Daseins. Auch im oberbayerischen

Nassenhausen (Lkr. Fürstenfeldbruck)

war das Wirtshaus neben der Kirche der

wichtigste Treffpunkt im Dorf. Das Eibl-

Anwesen gehört zu den ältesten Häusern

in Nassenhausen. Der „Bierzapfler“ Ge-

org Eibl (1788–1866) bemühte sich im

erstenViertel des 19. Jahrhunderts um eine

Konzession für den Handel mit Brot und

um die Erlaubnis, ein Wirtshaus betrei-

ben zu dürfen. Das Bier bezog er von der

Schlossbrauerei Kaltenberg, das Weißbier

kam von der Brauerei in Mering.

Die heute noch im Familienbesitz be-

triebene Gaststätte wurde 1894 von Josef

Eibl (1868–1947) neu gebaut. Der Stamm-

tisch der gut situiertenVollbauern, meist in

unmittelbarer Nähe zum Stubenofen, war

das „Allerheiligste“ im Wirtshaus. Doch

auch die Kleinhäusler hatten ihren festen

Platz, der oft durch ein Tischzeichen ge-

kennzeichnet wurde, wie es auf der Foto-

grafie zu sehen ist.

Bei den „4 Mart’l“, die sich hier ablich-

ten ließen, handelt es sich um dieTaglöhner

Martin Schußmann (1868–1947) und Mar-

tin Trinkl (1869–1946), den Gütler Martin

Fischer (1833–1920) und den Besenbinder

MartinTrauner (1874–1957), also Mitglieder

der dörflichen Gesellschaft, die eher dem

unterbäuerlichen Bereich zuzuordnen sind.

„Die 4 Martl’l“ – Martin war im Dorf

ein häufig gewählterVorname, da die Pfarr-

kirche dem hl. Martin geweiht ist – haben

wohl extra für den Fotografen, der sich an

jenem 7. Oktober 1906, einem Sonntag, im

Dorf aufhielt, ihre Kartenrunde aufgrund

der besseren Lichtverhältnisse ins Freie ver-

legt. Im Sonntagsstaat, den Hut verwegen

auf dem Kopf, versehen mit den Insigni-

en bürgerlichen Wohlstands wie Uhrkette

und Zigarre, gönnte man sich vermutlich

nach dem Kirchgang einen Frühschop-

pen. Zu der – aufgrund der langen Belich-

tungszeiten statisch wirkenden – Karten-

runde gesellte sich auch der Wirt Josef Eibl

mit seinem Söhnchen. Kurzerhand wur-

de die Anschreibetafel (vgl. Kat.-Nr.063)

umgedreht, um darauf Ereignis und Datum

für die Ewigkeit festzuhalten. Ein einzel-

ner Maßkrug, ordentlich auf einem Bierfilzl

abgestellt, vervollständigt das Stillleben.

Um welches Kartenspiel es sich gehandelt

haben könnte, lässt sich nicht sagen. Die

wenigen Karten, die die Männer in Hän-

den halten, das fehlende Kleingeld, die

Aufzeichnungen auf der Schiefertafel in

der Mitte lassen an das beliebteWatten den-

ken.Und in Tirol und Südtirol heißt der

höchsteTrumpf imWatten, der Herz-König,

häufig Martl.

B.K.

Quelle:

Adressbuch Fürstenfeldbruck 1911

Lit.:

Drexler,Wirtshaus; Nassenhausen; freundlicher

Hinweis von Manfred Hausler, München

050

Stammtischgesellschaft in Nassenhausen

Nassenhausen, 1906 | Fotografie | Innozenz Trinkl