Reformationsaltar der Neupfarrkirche in Regensburg

Auch die lutherische Kirche bediente sich nach der Reformation des Altarretabels als Medium für die Vermittlung ihrer Frömmigkeitsideen.


Michael Ostendorfer (um 1492–1559)
Regensburg, 1554/55
Mischtechnik/Lindenholz, neunmal bzw. mit Monogramm MO Mitteltafel 136 x 146,5, Flügel jeweils 136 x 86
Museen der Stadt Regensburg (HV 1430)
Lit.: Schuegraf, Lebensgeschichtliche Nachrichten; Thieme/
Becker 26, S. 77 f.; Wynen, Michael Ostendorfer, S. 64–81,
Nr. 18, S. 273 f.; AK Wittelsbach und Bayern, Bd. II/2, Nr. 10,
S. 10 f.; AK Martin Luther und die Reformation in Deutschland, S. 400–402; AK 1542–1992. 450 Jahre evangelische Kirche,
Nr. 64, S. 273–276; Rothmeier, Altar; Schmuck, Neues; Träger, Dreieinigkeit; Kurella, Bemerkungen.


Der Auftrag des Rates der Stadt Regensburg für den so genannten Reformationsaltar von Michael Ostendorfer krönte nach Ablauf des Augsburger Interims, mit dem Karl V. versucht hatte die Reformation zu neutralisieren, die Wiedereröffnung der Neupfarrkirche im April 1552 und die erneute Einführung der evangelischen Konfession in
Regensburg. Das 1554/55 entstandene beidseitig bemalte Altarretabel besteht in seinem heutigen Zustand aus einer annähernd quadratischen Mitteltafel und zwei hochrechteckigen Seitenflügeln. Eine Skizze Michael Ostendorfers (Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Hist. Archiv. Rst. Regensburg, Nr. 206, Brief vom 3. Mai 1555) zeigt, dass das Retabel ursprünglich noch eine in drei Szenenfelder geteilte Predella und einen Aufsatz mit einem weiteren Szenenfeld besessen haben muss. Das Bildprogramm spiegelt das Gedankengut der Schriften des in Regensburg tätigen Reformators Nicolaus Gallus („Summa der wahren Lehre” 1552; “Catechismus” 1554) wider und wird somit zu einem bildlichen “Manifest” der Regensburger Reformation.
Die Aussendung der Apostel auf der Vorderseite der Mitteltafel steht im Mittelpunkt der Bildkonzeption. Begleitet von der Darstellung Gottvaters und der Taube des Heiligen Geistes und unterstützt von Bibelzitaten auf Spruchbändern („Diß ist Mein Lieber Son, Den solt ir Hören.LVC.9” – Lk 9,35; „Gehet prediget Das Euang. Allen Creaturn, Vnd Leret sie Halten, was ich euch Befohlen Hab ete. MATTH.MAR.VLT” – Mt 18,19, Mk 16,15) ist die Aussendung als Auftrag zur Verkündung der wahren Lehre zu verstehen. Erfüllt wird dieser Auftrag in der lutherischen Kirche durch die Predigt, die unterhalb der Aussendungsszene zu sehen ist: Die Gemeinde in zeitgenössische Kleidung hört der Predigt eines protestantischen Pfarrers auf der Kanzel zu. Das Spruchband „Thut Busse. Und glaubt dem Evangelio etc. MAR 1” (Mk 1,15) gibt die erste der 95 Thesen Martin Luthers von 1517 wieder. Am rechten Rand der Mitteltafel nimmt ein Geistlicher einem Gläubigen die Beichte ab. Diese wurde in der evangelischen Kirche erst im 17. Jahrhundert durch die Gemeinschaftsbeichte ersetzt. Das Bibelzitat „Dir sind dein sünde vergeben. LVC.7” (Lk. 7,48) verdeutlicht die Szene.
Zwei weiteren Sakramenten, der Taufe und dem Abendmahl, sind die inneren Seiten der Flügel gewidmet. Jeweils in drei Szenen aufgeteilt, bieten sie den Rahmen für die typologische Verzahnung der protestantischen Gegenwart (jeweils im unteren Feld: die Taufe eines Kindes und das Abendmahl nach lutherischer Regel mit Brot und Wein) mit der Einsetzung des Sakraments durch Christus (je in der Mitte: Taufe Christi und Abendmahl) bis hin zu den alttestamentarischen Vorläufern (obere Bildfelder: Beschneidung Christi und Passahfeier).
In den Darstellungen auf der Rückseite der Mitteltafel und den Außenseiten der Flügel (nicht abgebildet) steht Christus als Gottessohn im Mittelpunkt. Die Flügel geben mit Verkündigung und Geburt seine Menschwerdung wieder, Kreuzigung und Grablegung schildern seinen Opfertod. Die Mitteltafel nimmt ein Weltgericht ein: Christus ist von Gottvater und dem Heiligen Geist in anthropomorpher Gestalt überragt, alle drei sind als Himmelskönige dargestellt. Der reformatorische Aspekt dieser Darstellung wird im unteren Bereich der Mitteltafel unübersehbar. Im Schlund eines Ungeheuers, dem Inbegriff von Verdammung und höllischen Qualen, erkennt man einen wohl genährten Mönch sowie einen Papst, der einen Ablassbrief emporhält.

V. To.